Ein bemühter Abend zum Thema "Theater im Theater"
Jean Paul sagt, die Erinnerung sei das einzige Paradies, aus dem wir nicht vertrieben werden können. Marius von Mayenburg – Hausautor, Dramaturg und Regisseur an der Berliner Schaubühne – widerspricht dieser These mit jeder Szene seiner Farce Perplex. Die Uraufführung fand in der Regie des Autors 2010 an der Schaubühne statt. „Perplex“ ist eine Verwechslungskomödie, die um Verlustängste kreist. Um den Verlust des Gedächtnisses und um den Verlust der eigenen Identität.
Das Vier-Personen-Stück beginnt damit, dass ein Ehepaar nach dem Urlaub die eigene Wohnung betritt und sie kaum wiedererkennt. Es gibt keinen Strom, eine fremde Pflanze steht in der Küche. Das befreundete Pärchen, das die Wohnung hüten sollte, steht plötzlich unerwartet im Türrahmen. Schnell muss unser Paar Nummer eins erkennen, dass die Rollen vertauscht werden und sie die ungebetenen Gäste sind. Und so nimmt der unaufhörliche Rollentausch seinen Lauf. In schnellem Tempo wechseln die Personen ihre Identität, ihre Beziehungen, manchmal auch ihre sexuellen Präferenzen. So kommt es zum Liebesakt zwischen einem Mann und seinem in einem Elchganzkörperkostüm steckenden Freund. Was sich nicht ändert, sind die Vornamen der realen Schauspieler. Wo und wie auch immer sie auftauchen, heißen sie in Neuss Linda (Riebau), Ulrike (Knobloch), Henning (Strübbe) und Rainer (Scharenberg).
Ständig finden mehr oder weniger absurde Szenenfolgen mit wechselnden Personenkonstellationen statt, wobei oft geistreiche Dialoge die Verwandlung der Akteure (insgesamt spielen sie 30 Rollen) akzentuieren und das Publikum manche Pointe dankbar annimmt. Klischees werden unter anderem zur Unterhaltung verwendet, so zum Beispiel wenn das russische Au-pair im typischen osteuropäischen „Nuttenlook“ aufkreuzt oder wenn ein Erziehungsproblem (Sohn will Ski fahren und beschimpft die unnachgiebigen Eltern als Nazis) in eine Nazifarce in der nächsten Szene abgleitet. Die Schauspieler können sich nach Herzenslust austoben. Die Konstellationen werden immer skurriler, Banales, so die stereotypische Betrachtung des Eheseitensprungs („Flucht aus dem bürgerlichen Ehekorsett“), wird mit pseudophilosophischen Exkursen (zu Darwins Evolutionstheorie oder zu Platons Höhlengleichnis) verquickt, auch ein Touch Sozialkritik darf nicht fehlen. Und – last but not least – steuert Mayenburg auf die Entlarvung theatraler Mittel hin.
In Neuss wird die Guckkastenbühne, die uns ein Wohnzimmer mit weißen Möbeln zeigt, durch einen breiten Rahmen begrenzt. Zwei kleine Einhörner stehen rechts davor, deren Sinn sich dem Betrachter nicht erschließt. Im Laufe des Abends treten die Akteure immer häufiger über diese „Absperrung“ hinweg zum Zuschauerraum hin. Sie diskutieren zunehmend die „vierte Wand im Theater“, weisen auf Zitate aus dem Stücktext hin („das steht so im Text“) und warten vergeblich auf den Regisseur. Kommentar der Regieassistentin (eine weitere Rolle…): „Manchmal habe ich den Eindruck, es gibt überhaupt keinen Regisseur“. Zum Ende erfahren wir von einer Art Schlusschor einige Antworten auf die – so essentielle – Frage des Theaters (Warum spielen die denn?): „um diese Stille nicht aushalten zu müssen“ oder „um die Träume der Gesellschaft vorzuführen“.
Auch wenn mancher Dialog geistreich-witzig daherkommt: man kann schnell absehen, wie „abwechslungsreich“ es weitergeht und so wird es selbst bei den heftigsten Bemühungen des Ensembles auf Dauer langweilig.
Das Neusser Publikum amüsierte sich bei der Premiere jedoch königlich und sparte nicht mit Applaus. Vielleicht hängt dies auch mit dem lokal verwurzelten Enthusiasmus für die bald anstehende Karnevalszeit zusammen.