Ein Gott müsste man sein
Die Götter haben es leicht. Wenn ihnen danach ist, wenn ihre Begierde sie treibt, nehmen sie die Gestalt eines anderen an – sei es nun Tier oder Mensch – und lassen einen sterblichen Erdenbewohner einmal spüren, in welche himmlischen Sphären der Lust das Vergnügen mit ihnen führt.
Regisseurin Lisa Nielebock inszeniert Kleists Fassung des Amphitryon rasant, packend und vor allem komisch – der bittere Nachgeschmack des philosophischen Unterbaus kommt erst im Nachhinein zum Tragen.
Als der Feldherr Amphitryon von einer Schlacht gegen die Athener zurückkehrt, voller Vorfreude auf die Feier seines Sieges und den Körper seiner lang entbehrten Gattin, muss er feststellen, dass ein Doppelgänger ihm just am Vorabend eben jene Belohnung geraubt hat. Alkmene, noch taumelnd beglückt von der Liebesnacht, will partout nicht glauben, einen anderen als ihren rechtmäßig angetrauten Ehemann zwischen den Beinen gehabt zu haben. Dass die Fürstin von Theben von Jupiter höchstpersönlich heimgesucht worden ist, weiß sie nicht.
Der Göttervater und sein Sohn Merkur sind auf die Erde hinabgestiegen, um hier und dort ein wenig Schabernack zu treiben und die Konsequenzen ihres Handelns treiben Amphitryon nebst Gattin in eine Verwechslungskonstellation hinein, an der sie zu zerbrechen drohen.
Marco Massafras Amphitryon ist ein Getriebener, ein Mensch, der aus seinem gewohnten gesellschaftlichen Gefüge, in dem er sich über seinen Ruhm als Feldherr und seinen Stand definiert, herausfällt. Den äußeren Merkmalen seiner Identität beraubt, muss sich der Feldherr nun mit der Frage konfrontieren, ob es ein inneres Selbst gibt, frei von externen Reglementierungen. Massafra spielt den Fürsten sehr bedacht, sehr überlegt, in nur wenigen Augenblicken verzweifelt – und steht damit in schönem Kontrast zu Nicola Mastroberardino, der Jupiter in seiner fast pubertär wirkenden, cholerischen Suche nach Bestätigung wunderbar ausspielt.
Die Frau zwischen den Fronten ist Therese Dörr, deren Alkmene stark schwankt zwischen ihrer unzweifelhaft tiefen Liebe zu Amphitryon und dieser einen Nacht mit dem Göttervater, die so heftig und intensiv, so gut war, dass es ihr beim bloßen Gedanken daran ein mädchenhaftes Kichern und rote Wangen ins Gesicht treibt. Sie kann diese Diskrepanz für sich nicht überbrücken, findet keine Lösung: „Wenn Du, der Gott, mich hier umschlungen hieltest und jetzt Amphitryon sich zeigte, ja – dann traurig würd` ich sein, und wünschen, dass er der Gott mir wäre, und dass Du Amphitryon mir bliebst, wie Du es bist.“
Trotz der beeindruckenden Leistung des gesamten Ensembles in diesen kurzweiligen neunzig Minuten sticht jedoch schon zu Beginn der Inszenierung Roland Riebeling als Diener Sosias hervor, dessen Talent für Komik den Grundstein legt für viele der zahlreichen Lacher an diesem Abend. Sosias erkennt als Erster, dass etwas nicht im Lot ist und reagiert schnell – er wechselt die Fronten, und das ständig. Auch er ist in seiner Identität zunächst festgelegt durch Äußerlichkeiten, doch fällt es ihm - im Gegensatz zu Amphitryon – leichter, sich loszusagen.
Die Bühne von Sascha Gross konzentriert sich hauptsächlich auf die gigantische goldene Spiegelwand, die, auf Rollen stehend, den Großteil des Raumes einnimmt. Im Laufe der Handlung wird sie sich drehen, immer wieder, bis nur noch Jupiter und Merkur in etwa wissen, was vor sich geht.
„Ach, es gibt kein Mittel, sich andern ganz verständlich zu machen, und der Mensch hat von Natur aus keinen andern Vertrauten, als sich selbst. (…) Selbst das einzige, was wir besitzen, die Sprache, taugt nicht dazu, sie kann die Seele nicht malen, und was sie uns gibt sind nur zerrissene Bruchstücke.“ heißt es in einem Brief Kleists an seine Halbschwester Ulrike im Oktober 1801; sechs Jahre vor dem Erscheinen von Amphitryon.
Das Stück beschäftigt sich offensichtlich mit dem Thema der Identität, das Kleist sein ganzes Leben über umtrieb und woran er letztlich scheiterte. Was macht uns als Individuen aus? Wer kann uns denn sagen, wer wir sind? Können wir das selber überhaupt? Brauchen wir nicht immer jemanden, der uns bestätigt, dass wir wir sind und nicht jemand anders? Können wir von diesem Jemand denn auch erwarten, dass er die Wahrheit sagt?
Lisa Nielebock gelingt das Kunststück - das komische Element des Stoffes im Fokus - einen kurzweiligen und allem voran unterhaltsamen Abend zu schaffen, sodass die Kernproblematik den Besucher im Nachhinein ungewöhnlich heftig, gewissermaßen doppelt, trifft.