„Die Welt hat nur durch das Extreme Wert und durch das Mittelmaß Bestand“. (Paul Valery)
Hedda Gabler, die verwöhnte Generalstochter, heiratet nach Jahren ohne feste Bindung den aufstrebenden Kulturhistoriker Jörgen Tesman. Durch ihn will sie den Lebensstandard halten, der ihren anspruchsvollen Erwartungen entspricht. Doch ihre unmäßigen Wünsche kann er nicht erfüllen. Desillusioniert und unendlich gelangweilt vom Dasein kehrt sie von der mehrmonatigen Hochzeitsreise zurück. Schnell ist ihr klar geworden, dass sie mit dem durchschnittlich begabten Tesman den falschen Mann gewählt hat. Die Ehe erfährt eine dramatische Zuspitzung, als ihr einstiger enger Freund Eilert Lövborg nach langer Abwesenheit wieder auftaucht. Denn der geniale Wissenschaftler, früher ein maßloser Trinker, könnte seinem früheren Studienfreund Tesman, dessen Ernennung zum Professor schon längst eingeplant ist, mit einem Aufsehen erregenden Werk die Karriere verbauen. Auch finanziell käme alles ins Wanken. Hinzu kommt, dass eine andere Frau in Lövborgs Leben mittlerweile Heddas Platz eingenommen hat. Hedda kann dies nicht ertragen und beginnt mit gnadenloser Konsequenz, Lövborg und sein Werk zu zerstören.
Hedda Gabler ist die Geschichte einer Frau, die an der Mittelmäßigkeit ihrer Umgebung verzweifelt, sich aber nicht traut, aus ihr auszubrechen. Sie ist eine Gefangene ihrer selbst, die noch nie in ihrem Leben von etwas berührt wurde, nie jemanden wirklich an sich herangelassen hat. Ibsen schrieb: „Heddas Verzweiflung ist die Vorstellung, dass es sicher genug Möglichkeiten zum Glück auf Erden gibt, aber dass sie sie nicht erkennen kann“.
Unter den schwarzen Stücken Ibsens ist Hedda Gabler sicher eines der schwärzesten. Das Psychogramm dieser von Obsessionen besessenen Generalstochter und die Frage, warum diese „femme fatale“ Amok läuft, ist nach wie vor ein spannendes Sujet für die Bühne. Roger Vontobel inszenierte Hedda Gabler mit einer brillanten Jana Schulz in der Titelrolle. In einen schwarzen Hosenanzug gekleidet, mit schwarzer Sonnenbrille und einem zum Teil geschorenen Kopf ist sie eine androgyn wirkende, fast immer mehr oder weniger unterschwellig aggressiv wirkende Frau, die zielbewusst und skrupellos ihre Interessen durchsetzt. Auch von der Körpersprache her signalisiert sie ein dominant-männliches Verhalten. Ganz besonders fällt das auf, wenn sie auf die eher schüchterne Frau Elvstedt trifft (Minna Wündrich), die mehr dem gängigen Frauenbild, nicht nur zu Ibsens Zeit, entspricht: fürsorglich um Lövborg bemüht, dessen Glück und Karriere ihr alles bedeuten. Aber auch absolut unfähig, sich Heddas Attacken in mehrfacher Hinsicht zu widersetzen. Felix Rech gibt Jörgen Tesman als sympathischen Langweiler, der sich von seiner angebeteten Frau alles sagen lässt, den sie beliebig manipulieren kann. Eilert Lövborg wird von Florian Lange überzeugend gespielt als zunächst selbstsicher auftretender Wissenschaftler, abstinent und scheinbar in sich ruhend, stolz auf sein literarisches Werk. Ganz in Schwarz passt er schon optisch gut zu Hedda, die er an ihre alte Liebesbeziehung erinnert. Berührend sein Absturz bei Richter Bracks Trinkgelage, nachdem Hedda ihn geschickt zu verunsichern wusste und so zum Trinken animierte („Alles geht unter, genau wie ich“).
Vontobel illustriert die heftigen Gefühle - Liebe, Hass, Verzweiflung, Wut – mit Videos von Clemens Walter. Eindrucksvoll entfalten sich Blüten fast lasziv, Insekten und andere Tiere, so Schlangen, erscheinen in der Projektion. Besonders gut gewählt die Gottesanbeterin, die bekannterweise oft nach der Paarung ihr Männchen auffrisst. Ein intensives Bild auch die Szene, wenn Hedda Lövborgs Manuskript verbrennt. Rotes Licht flackert über die Bühne, Hedda tanzt wie eine Wahnsinnige zu lauter Musik.
Nicht überzeugend ist die vom Regisseur hinzugefügte Figur des Generals Gabler. Gisbert Görke, ein kleinwüchsiger Schauspieler, gibt ihn als hämisch lachenden Gnom in einer Fantasieuniform, der immer wieder durchs Bild läuft.
Ibsens Ende, Heddas Selbstmord, fällt weg. Stattdessen sitzt die Protagonistin am Ende inmitten einer – wie General Gabler geschminkten – Kinderschar und zieht sich eine Heuschreckenmaske über. Vielleicht ein Symbol dafür, dass sie eingereiht wird in die Masse, wie ein Insekt in seinen Staat.
Insgesamt ein intensiver, eindringlicher Abend mit einem exzellenten Ensemble.