Minna von Barnhelm im Theater Duisburg

Nette Kokette aus Sachsen

Einen Jux will er sich machen. Das ist des Regisseurs Hasko Webers Sache normalerweise eher nicht, aber in seiner Hannoverschen Minna von Barnhelm, die zum Auftakt der diesjährigen Akzente im Theater Duisburg gastierte, möchte er zeigen, dass der heutzutage ein wenig bieder wirkende Herr Lessing tatsächlich ein ungeheuer lustiges Lustspiel geschrieben hat. Bis zur Pause gerät das leider: reichlich bieder.

Was die Intention der Inszenierung ist, verraten bereits die ersten Minuten: Eine lange, lange Narren-Szene zwischen Just, dem Diener des Major von Tellheim, und dem Wirt des Gasthofs, in dem sich die komplette Handlung abspielt, eröffnet den Abend. Beide sind in historisierende Kostüme gesteckt und tragen närrisch-lächerliche Perücken. Auch wenn der Wirt später die Anmeldung der neuangekommenen Minna von Barnhelm und ihrer Kammerfrau – Verzeihung: ihres Kammerfräuleins! – Franziska im Sprachstil eines Fernseh-Interviews auf ein altmodisches Tonband aufnimmt, ist Aktualisierung Webers Anliegen nicht. Stattdessen zitiert er alle denkbaren Komödienformen: Andreas Schlager als Wirt neigt zu Slapsticks, der virtuose Florian Hertweck führt gleich drei kleine Nebenrollen in unterschiedlicher Form ad absurdum und zeigt eine amüsante Travestie als „Dame in Trauer“, eine zum Schreien komische, ungeheuer bewegliche Karikatur des Riccaut de la Marlinière und einen witzig-zackigen Feldjäger. Mit ein paar Spurenelementen von Tür-auf-Tür-zu-Komödie wird italienische Komödie oder „Nackter Wahnsinn“ angedeutet, und nach der Pause kopieren Aljoscha Stadelmann als Paul Werner und Thomas Mehlhorn als Major von Tellheim einmal die Gags des Regietheaters des 21. Jahrhunderts, steigen aus der Rolle aus und versuchen, die Rollenverteilung zwischen Schauspielern und Publikum umzukehren. Normalerweise hasst das Publikum sowas – aber hier wirkt auch das so brav und anbiedernd, dass es Szenenapplaus gibt. Mit den Geschlechterrollen wird auch noch gespaßt: In einer kurzen Szene finden sich Major und Werner in langem Mund-zu-Mund-Kuss vereint, als Fräulein Franziska die Szene betritt. Die guckt verwirrt, und alle lachen im Parkett. - Oh je …

Das Spiel dieser Franziska aber ist tatsächlich eine Augen- und Ohrenweide. Während insbesondere Tellheim vor der Pause manches Mal ein wenig uninspiriert vom Stand- aufs Spielbein wechselt und Julia Schmalbrocks Minna kaum bleibenden Eindruck hinterlässt (Stichwort: bieder!), überzeugt Carolin Eichhorst als die nette Kokette aus Sachsen: schlagfertig, wortgewandt, mit dem Herzen unter fescher Bluse auf dem rechten Fleck und einem kurzen Reifrock, der schmale Taille und ausladenden Hintern betont und dessen Blümchenmuster perfekt auf die Handtasche abgestimmt ist. Wenn Eichhorn in all den Turbulenzen plötzlich ungewollt mit den Terminen durcheinander kommt, dann ist das endlich wirklich zum Schmunzeln – parieren kann sie so etwas, dass man kaum weiß, ob der Irrtum nicht doch zur Inszenierung gehörte.

Ein Weilchen dauert es noch nach der Pause, bis dass der Schwung, den Eichhorn bereits von Beginn an in die Aufführung gebracht hat, sich über die ganze Inszenierung legt. Vielleicht ist es der kurze Ausflug ins dekonstruierende Regietheater, der die Inszenierung befreit: Plötzlich bekommt die Aufführung Dimensionen, die in ihren besten Momenten von fern an Herbert Fritsch erinnern – waagerecht in der Luft liegende Figuren kennen wir am Niederrhein aus dessen etwas anderem Lessing, von Oberhausens Emilia Galotti. Großartige Slapsticks und akrobatische Sprach- und Gymnastikkunststückchen fegen nun die vorherige Biederkeit beiseite, so dass es kaum noch wundert, wenn Minna im Gespräch mit de la Marlinière sogar die Existenz eines Gymnastik- oder Tanzministeriums für möglich hält. Als sich für Tellheim zum Schluss in Liebes- wie in finanziellen Dingen plötzlich wieder alles zum Guten wendet, hebt er seinen bis dato appen Arm in die Luft zur Black-Power-Geste. Das passt prima zur Ankündigung im Akzente-Programmheft, in dem Tellheim (zumindest in Fragen der Ehre) als eine Art Hypochonder bezeichnet wird.

Alles in allem … nun ja: Es ist schon ziemlich albern, und die Virtuosität von Hertweck und Carolin Eichhorn fehlt den meisten anderen Figuren leider. Ausnahme: Aljoscha Stadelmann als Paul Werner, der ganz allein dem Trubel auch mit ruhigen und introvertierten Szenen widersteht. Als einziger ist er nicht in die schrillen, die Historie karikierenden Kostüme gekleidet. Er ist halt die einzige verlässliche Figur des Stückes. Wenn er unmittelbar vor der Pause ein wenig ratlos inmitten von Dollarscheinen kniet, gibt die Inszenierung für einen kurzen Moment Anlass zur Reflektion. Ansonsten wird in der Inszenierung nicht recht klar, warum man das Stück heute noch spielen muss. Gedanklich jedenfalls nicht. Aus der Reaktion des Publikums schon. Das hatte nahezu ausnahmslos Spaß an der boulevardesken Auslegung. Und das ist eigentlich ja schon Rechtfertigung genug für einen lustigen Abend.