Bürgerwehr im Theater Münster

Paranoia

Alles ist gut: Hilda und Martin, das christliche Geschwisterpaar hat es geschafft. Endlich das Traumhaus-Idyll mit Blick ins Grüne. Schnell noch den geliebten Gartenzwerg in den Rabatten postiert und natürlich ein Mini-Kruzifix aufgestellt – ein Leben ganz nach Wunsch der beiden. Wenn da in Sichtweite nicht eine Siedlung wäre, die offenbar ein sozialer Brennpunkt ist.

Alan Ayckbourn legt in seiner Bürgerwehr meisterlich den Finger in die Wunde einer nach absoluter Sicherheit strebenden Mittelschicht. Denn wehe, wenn sie losgelassen: Kaum zerstört ein Rowdie den Zwerg, gibt es kein Halten mehr. Gemeinsam mit den Nachbarn werden Komitees gegründet, Zäune gebaut, Kontrollen installiert und das nette Viertel wird zum Hochsicherheitstrakt. So dreht sich die Spirale aus Angst und Hysterie immer weiter, bis schließlich auch Gewalt legitimiert wird. Ayckbourn beschreibt ganz genüsslich und mit bösem Humor, wie ganz normale Menschen zu Hyänen werden und dabei immer auch Schwächen zeigen, die ihren hehren Moralvorstellungen widersprechen. So entdeckt Hilda ihre lesbische Seite, Martin verliebt sich ausgerechnet in Amy, die immer wieder mit Männern in der Siedlung Liebschaften hat.

Es ist überhaupt eine verrückte Gesellschaft, die Ayckbourn um die Geschwister herum gruppiert. Rod, ein ehemaliger Wachmann, ist der Gewalt von Beginn an nicht abgeneigt. Steffen Gräbner überzeugt mit großer Klappe und noch größerem Appetit. Regine Andratschke ist Dorothy – vormals Journalistin, jetzt eine klatschsüchtige Rentnerin, stets mit Flachmann in der Tasche, während in der scheinbar verhuschten Musiklehrerin Magda ein Vulkan schlummert, den Claudia Frost wunderbar ausbrechen lässt. Ilja Harjes als deren Mann Luther und Julia Stefanie Möller als Amy sind die Außenseiter, verfolgt von der Mehrheitsmeinung. Völlig schräg Frank-Peter Dettmann, der als schüchterner Gareth eine seltsame Vorliebe für mittelalterliche Folterinstrumente entwickelt.

Inmitten dieser skurrilen Versammlung also Martin und Hilda. Mark Oliver Bögel gebärdet sich einerseits wie ein kleiner Feldherr und ist gleichzeitig in Liebesdingen nur ein großer Junge. Carola von Seckendorff bringt Hildas Charakter voll zur Geltung – völlig überdreht einerseits, fast kindlich gläubig und doch voll eisernem Willen und unbändiger Entschlusskraft.

In Stefan Brandtmayrs bürgerlichem Wohntraum mit Echtholzboden und Blumentapete inszeniert Thomas Ladwig den gemeinschaftlichen Weg in die Paranoia. Er tut das in vielen kleinen witzigen Situationen und bricht die großen moralischen Fragen, die sein Persomal diskutiert, immer wieder auf die Banalität des Alltags herunter. Der Kampf mit Sitzsäcken spricht da Bände und das Balancieren von Teetassen auch.

So geht alles temporeich der ultimativen Klimax entgegen, die Martin das Leben kosten wird. Aber keine Angst, seine Bürgerwehr bleibt in der Welt.