Übrigens …

Carls Werk - Erster Teil im Köln, Schauspiel

Historische Heimstatt

 

Die Produktion Carls Werk („Erster Teil“ verspricht eine Fortsetzung) versteht sich als Hommage an die derzeitige Ausweichspielstätte von Schauspiel Köln. Das Programmheft liefert in „filmisch-theatraler Recherche“ eine detailreiche Chronik des immer noch (begrenzt) tätigen Industrieunternehmens im Kölner Stadtteil Mühlheim. Nach einer hinreißend chaplinesken Introduktion (Bravo für Stefko Hanushevsky) befürchtet man zwar, die Aufführung könnte auf eine etwas dröge Retrospektive lokaler Gegebenheiten hinauslaufen. Ein Referat historischer Entwicklungen wird während der zwei pausenlosen Stunden auch immer wieder geboten, aber die Regisseure Jan Neumann und Dirk Kummer verstehen sich erfreulicherweise auf szenische Lebendigkeit.

Den “filmischen“ Anteil der Aufführung erlebt man auf drei Video-Leinwandtafeln. Teils handelt es sich um geschichtliches Material (vor allem aus der Zeit nach 1945 mit neuerlich erschütternden Bildern der stark zerstörten Domstadt) und nachgestellten Szenen mit Schauspielerin wie Sabine Orleans als ehemalige Firmenchefin und Nicola Gründel mit einem Hitler-Auftritt. Den Regisseuren gelingt eine wirklich tolle Mischung aus Dokumentation und lebendigem Theaterspiel. Mit Rührung erlebt man zudem den (filmischen) Auftritt ehemaliger Werksangehöriger, welche über die Entwicklung des human geführten Familienunternehmens hin zu Manager-Kälte berichten. Einer der Zeitzeugen wohnte der Premiere bei und ließ darüber nachdenken, was Zeitläufte neben Entwicklung auch an Rückschritt bedeuten können. Mit 7000 Jahre Köln (Mai) und Die Lücke. Ein Stück Keupstraße (Juni) wird Schauspiel Köln mit lokal orientierten Themen übrigens fortfahren

Nach der Expo (während Karin Beiers Intendanz) ist das Schauspiel Köln seit Übernahme der Chefposition durch Stefan Bachmann also im Carlswerk beheimatet. Es liegt nicht weit entfernt vom Palladium, wo die Oper bis vor kurzem häufig spielte, bis sie das ehemalige Musicalzelt in Bahnhofsnähe bezog (Oper am Dom). Die Geschichte des Carlswerks, einem Zentrum für Kabelherstellung, reicht - großzügig gerechnet - bis 1682 zurück. In Zeiten aufkommender Kommunikationstechnik florierte es mächtig. Die „braunen“ Jahre überlebte man mit einigen Gewissensbissen und ging dann neu an die Arbeit - bei stark reduzierter Belegschaft. Durch Verkauf an einen dänischen Konzern kam es 1999 zu eine neuer Weichenstellung, indem die Kabelherstellung ins nahe gelegene Leverkusen verlagert wurde. Im Carlswerk selber wird aber weiterhin Draht hergestellt.

Dem Schauspiel Köln bot sich durch diese Gegebenheiten eine neue Heimstatt bis 2015, wenn die Theatergebäude am Offenbach-Platz nach der (allem Anschein nach glücklich verlaufenden) Generalsanierung wieder genutzt werden können. Die Mühlheimer Werkshallen eröffnen dem Theater ungewöhnliche Reize vor allem im bühnenbildnerischen Bereich, bei allerdings heikler Akustik. Das Guckkasten-Prinzip wurde bislang freilich beibehalten. Der “Carlsgarten“ mit seiner Bepflanzung wird als dem Hause zugehörig empfunden, spielt theatralisch allerdings keine Rolle.

Ein Theaterabend im üblichen Sinne ist auch Carls Werk nicht. Nur zwei Darsteller agieren live. Warum Annika Schilling ein Glitzerkleid trägt (Kostüme: Regine Standfuss), ist nicht ganz einsichtig, aber es schmeichelt ihrer Figur Sehr viel mehr als ein Aufsagetext ist ihr freilich nicht gegönnt. Stefko Hanushevsky hingegen darf sich komödiantisch verausgaben und tut dies auch ausgiebig. Sein chaplinesk akrobatisches Entrée ist wirklich zum Brüllen. Aber es entspringt auch der Idee der Regisseure. Beide haben ihre Karriere als Schauspieler begonnen. Jan Neumann ist heute Hausregisseur am Nationaltheater Weimar, an Dirk Kummers frühere Karriere erinnert nicht zuletzt einer der letzten DDR-Filme, Heiner Carows Coming out.