Film wird zum Bühnendrama
Andrej Rubljow - eine weitere Uraufführung beim Schauspiel Köln. Das Stück basiert auf dem 1969 gedrehten Film von Andrej Tarkowskij, der in alte, unruhige Zeiten von Mütterchen Russland zurückblendet. Sein Protagonist ist der Ikonenmaler Andrej, welcher um die Wende vom 14. zum 15. Jahrhundert tatsächlich gelebt hat. Tarkowskijs Epos schildert die Weltenwanderung von ihm und zwei Berufsgenossen aus dem Andronikow-Kloster, ihrer mönchischen Heimat für viele Jahre. Die Fußreise konfrontiert sie mit einer Welt außerhalb gelebter Moralvorstellungen, einer Welt, die von totalitärer Herrschaft, grausamen Bürgerkriegen und erniedrigenden Überlebenskämpfen geprägt ist. Der Glaube vom Guten und Schönen bekommt einen abgrundtiefen Riss. Andrej gibt sogar seine Malerei auf und hüllt sich in totales Schweigen. Aus dieser Verzweiflungssituation befreit ihn schließlich die Begegnung mit dem jungen Boriska, der im Andenken an seinen verstorbenen Vater eine Glocke gießt, Symbol eines tiefen, lebensbejahenden Glaubens.
Der Stoff schreit fast nach einer Veroperung mit Verzweiflungsdramatik und „Erlösungs“-Finale. In Köln folgt Regisseur Robert Borgmann Tarkowskij ziemlich linear. Seine Inszenierung ist wesentlich länger als das Filmoriginal, welches ungeachtet einer strengen Bildsprache mit seiner optischen Kraft und Intensität offenbar nachhaltig in Bann zu ziehen weiß. Ein wirklicher Vergleich kann in Unkenntnis des Films an dieser Stelle leider nicht gezogen werden.
Für sich genommen ist der mit vier Stunden überlange Abend eine zweischneidige Angelegenheit, im wahrsten Sinne des Wortes. Der Bühnentext von Anja Nioduschewski mischt reale Szenendarstellung mit erzählerischen Passagen, was zunächst einen gewissen Reiz besitzt, dann aber rhetorisch ausufert und das Bühnengeschehen verunklart. Wer sich die Inhaltsangabe im Programmheft nicht zu Gemüte geführt hat, läuft sehr bald Gefahr, den Faden zu verlieren, zumal man auch mit einigen Bildrätseln Borgmanns konfrontiert wird. Warum sich in der von Glaswänden abgeschotteten modernen Wohnung im Hintergrund ein großes Tuch aufbläht, ist beispielsweise unverständlich. In dem Raum spielt sich das tägliche Ritual von Klein-Alexejs Schulgang, Mamas Morgentoilette und Frühstück ab, was sich nach der Pause wiederholt. Dann wird der Junge auch noch mit einem Lichterkranz als Dornenkronen-Ersatz an ein Kreuz gebunden. Schwergewichtiges Symbolbild.
Dennoch: in diesem zweiten Teil wird die Aufführung fast schlagartig beredt und bedeutsam. Das beginnt mit dem bewegungsstatischen Dialog zwischen Andrej und seinem griechischen Berufskollegen Theophanes, bei dem es um religiöses Selbstverständnis geht („das ewige Licht“), um Grausamkeit und Versündigung auf Erden, um himmlische Versprechungen des (real existierenden?) Paradieses. Später kommt es zu einer Begegnung mit Kyrill, der - neidisch auf das Angebot von Theophanes an Andrej, ihm bei einem großen Malauftrag zu assistieren - die Mönchsgemeinschaft verlassen hatte. Jetzt kehrt er zurück, um den (im Bühnenvordergrund mit dem Rücken zum Publikum sitzenden und in sich gekehrten) Andrej zur neuerlichen Ausübung seines Künstlerberufs zu bewegen. Diese rührende Szene wird von der großen darstellerischen Euphorie Simon Eckerts getragen, Gast aus dem einstigen Schauspielerensemble Karin Beiers. Niklas Kohrt seinerseits hatte sich zuvor in Andrejs Verzweiflungsmonolog vom unscheinbaren Buben (erster Teil) in eine charismatische Leidensfigur verwandelt. Zuletzt folgt noch der Auftritt Boriskas. Ursula Doll (zuvor auch Theophanes) spielt diesen Eiferer warmherzig, wie von einem idealistischen Feuer durchglüht. Diese knappe halbe Stunde (geschätzt) ist ein Drama für sich, dramaturgisch freilich übergewichtig und irgendwann zwangsläufig auch ein wenig in einen Gebetsmühlenton mündend. Gleichwohl beeindruckt das Hingebungsvolle der Schauspielerin nachhaltig. Die Aufführung endet mit einer Umarmung der beiden: Andrej: „Ich werde wieder malen.“ Kurz und wirkungsvoll.
Weitere Mitspieler sind Julischka Eichel, Nicola Gründel, Seán McDonagh (explosiv) und Sven Michelson, der zusammen mit Philipp Weber auch die Musik beisteuert. Regisseur Borgmann lässt die von ihm selber konzipierte Bühne leer, bis auf einen Erdhaufen, den Boriska in seiner extatischen Szene dann mit einem Besen auf der Spielfläche verteilt. Für interessante optische Signale (Video, Live-Zeichnen) sorgt Samuel Weikopf.