Übrigens …

Manderlay im Schauspiel Essen

Manderlay – eine moralische Verpflichtung?

Der Film Manderlay (2005) ist nach Dogville der zweite Teil einer geplanten Amerika-Trilogie von Lars von Trier. Der dänische Regisseur ist bekannt für seine kompromisslosen Filme. Er war Mitverfasser des Filmregelwerkes Dogma 95, das in Zehn Gebote ein Plädoyer für die „Keuschheit des filmischen Erzählens“ hielt.

Manderlay spielt in den Dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts in den amerikanischen Südstaaten. Grace ist die Tochter eines Gangsterbosses. Auf ihrer Fahrt durch den Süden Amerikas stoßen Grace und ihr Vater auf die Baumwollplantage Manderlay, auf der Schwarze wie Sklaven behandelt werden, obwohl die Sklaverei schon 70 Jahre vorher abgeschafft wurde. Die junge Frau ist zutiefst empört und beschließt, die Schwarzen in die Selbstbestimmung zu entlassen und ihnen demokratische Grundwerte beizubringen. Dafür ist ihr jedes Mittel recht. So benutzt sie einen Teil der bewaffneten Männer ihres Vaters als „Berater“, um ihren Erziehungsversuchen Nachdruck zu verleihen. Doch das Projekt scheitert. Die Plantagenarbeiter finden sich in der neuen Situation nicht zurecht und zeigen sich kaum zu eigenen Entscheidungen und autonomen Handeln in der Lage. Grace mutiert mehr und mehr zu einer gut meinenden Diktatorin, die selbst auch nicht frei von rassistischen Vorurteilen ist.

Den Regisseur Hermann Schmidt-Rahmer, der am Essener Haus schon Ulrike Maria Stuart und Clockwork Orange inszenierte, interessiert an dem Stoff die Frage, „womit wir (die westliche Welt) eigentlich die Durchsetzung dieser unserer Werte (Menschenrechte, Demokratie, Toleranz) gegenüber Gesellschaften legitimieren, die diese entschieden ablehnen“.

Sein Abend hat bis zur Pause einige Längen, wird danach aber immer spannender. Die Textvorlage geht von einer größeren Menge von Personen aus, die von der Protagonistin aber nur schwer als Individuen zu unterscheiden sind. Die Inszenierung arbeitet mit 70 Puppen, von Thomas Goerge aus braunen Plastikkanistern und Kleiderbügeln gebaut. Perücken, Brillen und weitere kleine Details verleihen ihnen durchaus eine Art Gesicht. Ein cleverer Einfall. Fünf Schauspieler und Schauspielerinnen schlüpfen in die verschiedensten Rollen, die sie blitzschnell wechseln können. Darüber hinaus bewegen sie die Puppen gekonnt, die wahlweise Einzelpersonen darstellen oder Teil einer stummen Masse sind.
Grace wird hervorragend von Floriane Kleinpaß gespielt. Sie ist die einzige durchgängige Figur und fällt schon optisch – ganz in Weiß gekleidet – auf. Überzeugend, wie sie energisch zu Beginn das Kommando mit den besten Absichten übernimmt und im Laufe der Geschichte immer mehr das eigene Scheitern begreift.

Das Stück arbeitet mit Fleisch gewordenen Vorurteilen bzw. Klischees bezüglich der Schwarzen. Es ist immer die westliche Sicht auf die scheinbar unfähige, der Anleitung bedürfende Gruppe. Umso kraftvoller das Bild zum Ende des Abends, wo alle gemeinsam die Nationalhymne Südafrikas „Nkosi Sikelel iAfrica“ singen. Ein Zeichen für den Aufbruch in eine selbst gestaltete Zukunft!

Der eiserne Vorhang geht herunter. Stefan Diekmann (neben Daniel Christensen der beeindruckendste Akteur des Abends) stellt dem Publikum nüchtern-sachlich Fragen wie: Wohlstand oder Freiheit, was ist wichtiger? Glauben Sie, dass alle Menschen gleich sind? Wobei man ihm seine Skepsis deutlich anmerkt.

Ganz zum Schluss hören wir eine kurze Einspielung von Frau von der Leyen, die mal kurz nach Mali fliegen will, um sich ein Bild von der Lage dort zu machen („wir als Europäer“).
Die Inszenierung vermittelt intensiv den oft versuchten, aber selten gelungenen Spagat zwischen vielleicht gut gemeinter Hilfe zur Selbsthilfe, worunter ja auch die Entwicklungshilfe fällt, und Realität. Die oft scheitert, denn - so Schmidt-Rahmer -. „Kulturen lassen sich eben nicht einfach so ummodeln, sie sind etwas Gewachsenes, was sich nicht dem Ideal anpassen lässt“.

Der nachdenklich stimmende Abend wird getragen durch das gute Ensemble. Hier sind noch zu erwähnen: Ingrid Domann, Sven Seeburg, Johann David Talinski, Christian Lehner.