Hinter der Komödie lauert die Tragödie
Der Titel klingt ein wenig Weanerisch. In der Tat lebt der syrische Schriftsteller (und Assistenzarzt) Ibrahim Amir seit 2002 in Wien. Da er sich in seinem Heimatland politisch engagierte, wurde er exmatrikuliert, sah für eine Zukunft nur noch im Ausland eine Chance. In Wien, am Theater Nestroyhof Hamakom, wurde 2011 seine Komödie Habe die Ehre uraufgeführt. Eine solche wurde sie übrigens erst beim Schreiben, denn Ehrenmord ist ja kein Thema, über welches man leichtherzig lacht. Allenfalls kann man den Ehrenkodex bei Syrern und anderen östlichen Völkern als lachhaft empfinden, aber so radikal sollte man mit einer Verurteilung auch nicht sein. Wenn, wie der Autor erklärt, das Patriarchat älter ist als sogar die Religionen, lässt sich nachvollziehen, dass der absolute Herrschaftsanspruch des Mannes, die Sekundärfunktion der Frau, ein seit Jahrhunderten gewachsenes System ist, dem mit schneller westlicher Moral nicht beizukommen ist.
Ibrahim Amir hat als Zwölfjähriger erlebt, wie eine Frau, die mit einem „Seitensprung“ Schande über die Familie brachte, einem männlichen Rachefeldzug zum Opfer fiel, wobei der Mörder ihr noch minderjähriger Bruder war. Der Liebhaber war zu dem Zeitpunkt bereits massakriert. Erstaunlicherweise sind es besonders Frauen, welche solche Maßnahmen befürworten, aus einem „Selbstschutzmechanismus“ heraus, wovon Ibrahim Amir überzeugt ist. Aber er beobachtet auch positive Veränderungen, allerdings glaubt er nicht an ein Gelingen von heute auf morgen. Wie war es eigentlich bei unserer westlichen Emanzipationsbewegung?
Intendant Stefan Bachmann hat die Qualitäten von Amirs „Parallelgesellschaftskomödie“ unzweifelhaft erkannt und die Inszenierung des Stückes für sich reserviert. Der Premierenjubel übertraf noch den von Michael Frayns Nackter Wahnsinn am Saisonbeginn. Während diese Farce aus bühnentechnischen Gründen relativ lang geriet, genügen für Habe die Ehre anderthalb pausenlose Stunden. Das ist auch dem nüchternen Interieur von Thomas Garvie zu danken, auf welches der Blick freigegeben wird, nachdem die vordere Abdeckung krachend nach vorne gestürzt ist. Damit wird der weite Raum von Depot 2 optisch zwar nicht genutzt, aber für diese „Verlegenheits“lösung sprechen viele Gründe.
Die Situation. Eltern und Bruder einer noch sehr jungen Ehefrau sowie Schwiegervater und Ehemann lamentieren über die Zerstörung von Familienehre durch das Fremdgehen der Frau. Der Liebhaber scheint der Rache bereits zum Opfer gefallen zu sein, über das unausweichliche Schicksal des Mädchens wird hochemotional diskutiert. Wer soll sie töten? Nur das nämlich vermag die Ehre, diese verdammte Ehre, wiederherzustellen. Einer nach dem anderen sucht nach Ausflüchten. Der Vater, welcher seine Tochter (hinter der Szene) erst einmal grün und blau schlägt, macht sogar einen Bandscheibenvorfall geltend. Aber der Angsthase ist natürlich immer der andere.
Ibrahim Amir wartet bis zum Schluss mit immer neuen Situations-Knüllern auf. So erscheint auf einmal der Liebhaber der Tochter, keineswegs tot, wenn auch einigermaßen lädiert, in der brodelnden Familienversammlung und fordert die Tochter des Hauses zur Frau. Die Anwesenden müssen ein entsprechendes Papier unterzeichnen. Aber das Mädchen will ihrem Lover keine Ehefrau sein. Peng! Sie hat genug von der vernichtenden Rollenverteilung ihrer Gesellschaft. Die langjährige Freundin des Gatten (thematisch ein eigenes „weites Feld“) hat einen flammenden Finalauftritt. Sie sieht ihre Gefühle verraten und ballert den Liebhaber mit Maschinengewehrsalven nieder. Erneut kommen zwei Polizisten und monieren die Lärmbelästigung der Nachbarn.
Es gibt unendlich viel zu lachen, denn Ibrahim Amir weiß die verrückten Situationen hinreißend komisch in Worte zu fassen. Man erlebt ein Stück, welches die Chance haben könnte, Yasmina Rezas Gott des Gemetzels ernsthaft Konkurrenz zu machen. Regisseur Bachmann lässt die Geschehnisse turbulent hochschäumen, versagt sich keinen Gag. Guido Lambrecht und Benjamin Höppner hetzen sich mit stimmlich knarrender Wucht als Väter gegenseitig auf. Den Bruder spielt Johannes Benecke mit köstlicher Hysterie, Sabine Orléans die Mutter mit Inbrunst. Das Macho-Gehabe des Ehemanns bringt Jakob Leo Stark bestens zur Geltung. Top auch die restliche Besetzung: Mohammed Achour (Liebhaber) sowie Robert Dölle und Melanie Kretschmann (Polizisten)