Übrigens …

Der Zwerg reinigt den Kittel im Recklinghausen Ruhrfestspiele

Boulevard für Altenheimbewohner

Der Zwerg reinigt den Kittel. Ein lustiger Titel, nicht wahr? Lesen Sie ihn noch einmal. Und nochmal. Ist er immer noch lustig?

So ist auch der Roman der österreichischen Autorin und Dramaturgin Anita Augustin: unterhaltsam, witzig, voller schwarzem Humor. Es ist ein Roman über das Alter, über die Leere nach der Pensionierung, über den demographischen Wandel. Die Bundesfamilienministerin, deren phrasenhafte Rede bereits beim Einlass des Publikums über den Flachbild-Fernseher läuft, hat beim Thema Senioren nur einen Gedanken: Ressourcenoptimierung. Recycling der Alten, entweder als Ehrenämtler in den Arbeitsprozess oder zur Einsparung des einen oder anderen Tierversuchs als Versuchsobjekte für die Pharma-Industrie. Almut, Karlotta, Suzanna und Marlen, vier Freundinnen, die einander seit 40 Jahren nicht mehr gesehen haben, sind dem entflohen: Sie erschwindeln sich Pflegestufe 2 und wollen ein gelassenes Leben in der Seniorenresidenz genießen. Doch die Residenz entpuppt sich als Endlagerstätte für senile Altlasten. Die Damen lernen: „Das Alter ist nicht unbedingt reich an Erfahrungen - das Altenheim schon.“ Die Ministerin, die ihnen das Altern mit Lust und Würde verwehrt, wird von ihnen zusammengeschlagen. - Sitzen nun vier Omas im Knast. Lustig, nicht wahr? Nur nicht für die Betroffenen.

Der Zwerg reinigt den Kittel ist auch eine politische Anklage, die im Kleid eines Schelmenromans daherkommt. Witzig, voller böser Pointen ist auch die Dramatisierung, die Anita Augustin gemeinsam mit Alexandra Althoff, der Dramaturgin des Schauspiels Frankfurt, und Bettina Bruinier, der Regisseurin der Uraufführung, vorgenommen hat. Aber sie ist auch: sehr boulevardesk. Der schwarze Humor wirkt manches Mal ein wenig platt; die Zwischentöne und die Vielschichtigkeit der im Roman beschriebenen Charaktere gehen in der Dramatisierung verloren. Die Ängste der noch im Saft stehenden Rentnerinnen aber klingen an, burschikos und mit gespielter Selbstsicherheit werden sie kaschiert. Auch die gesellschaftspolitische Anklage bleibt, wenn auch deutlich weniger differenziert, in der Theaterfassung erhalten. Da die Dramatisierung aber nun mal boulevardesk geworden ist, müsste man das Stück auch boulevardesk spielen, besser noch: als Farce, als Groteske. Mehr Tempo, eine stärkere Betonung der Pointen und der ausgeprägten Marotten der sehr individuell gezeichneten Frauen bei gelegentlicher Brechung durch nachdenkliche Passagen hätten der Aufführung gut getan.

Stattdessen deklamiert das Team des Schauspiels Frankfurt den Text in aller Ruhe, als wolle man sicherstellen, dass auch der begriffsstutzigste und hörgeschädigtste Altenheimbewohner ja alles mitkriegt; da wird Standbein/Spielbein zum Publikum gesprochen, fast immer irgendwo zwischen andante und allegretto, und wenn es mal lebhaft wird, dann wird es schnell peinlich wie in der viel zu lange ausgewalzten, wenig überzeugend ins Zotige gezogenen Szene, in der der Pfleger Suzanna einer Ganzkörperwäsche unterziehen soll. Es gibt ein paar hübsche Momente: Als die vier Schauspielerinnen Madonnas „Holiday“ singen, erhalten sie Szenenapplaus. Immer wenn Almut die Augen schließt, bricht auf der hinteren Wand der Bühne das Höllenfeuer, der „brennende Ozean“ los - da wird eine Traumatisierung deutlich, deren wahren Grund wir erst in der überraschenden Schluss-Szene verstehen. Die Figur der Karlotta, „Ex-Sportlehrerin mit Bürstenschnitt und Armeejacke“ sowie militaristischem Auftreten und mitleidlosem Zynismus, ist bei Lore Stefanek optisch und von der Spielweise her gut aufgehoben, doch müsste sich Stefanek von „Suzanna“ Helga Werner die tiefe, bollerige Stimme leihen, um ihrem Charakter völlige Glaubwürdigkeit zu verleihen.

So wie es ist, wirkt die ganze Angelegenheit flach. Nicht einmal der Boulevard gelingt - geschweige denn eine angemessen ernsthafte Umsetzung des Romans. Vielleicht hat Bruinier sich zu sehr die - aus Sicht des Unterzeichners ungerechtfertigte - Kritik der Jury der letztjährigen Mülheimer Theatertage zu Herzen genommen: Da wurde ihr Verrat an den Figuren in Felicia Zellers X Freunde vorgeworfen, weil ihre Inszenierung das Stück temporeich und ungebremst komödiantisch in die Groteske kippen ließ. Dem Stück hat es nicht geschadet - und Bruiniers Inszenierung war erfolgreich und wurde anderenorts enthusiastisch akklamiert. Dieser Stil hätte vielleicht das - in der Theaterfassung deutlich schwächere - Werk von Anita Augustin gerettet.