Psychogramm einer Ehe
Ingmar Bergmanns Szenen einer Ehe war ein Kultfilm der 70er Jahre. Zutiefst erschüttert wurden viele Zuschauer durch das In-Frage-Stellen des traditionellen Zusammenlebens von Mann und Frau, galt dies doch lange als selbstverständlich. In der Chronologie des Scheiterns einer Ehe erleben wir die Verwandlung von Marianne – aus einer scheinbar wunschlos glücklichen Mutter und mehr oder weniger unsicher auftretenden Ehefrau wird eine immer selbst bewusstere Frau, die – u.a. angesichts der Daueraffäre ihres Ehemannes – letztlich die Scheidung fordert. Johan dominierte lange in dieser Ehe, akzeptierte es als selbstverständlich, dass Marianne sich immer anpasste. Dann entschied er sich in einer Art Midlife-Krise für eine jüngere Geliebte, mit schlechtem Gewissen, aber dennoch unbeirrbar seinen Weg gehend.
Bergmanns Stoff über die Lügen, die Leidenschaften, die Macht und die Ohnmacht in einer Ehe, die ihre Fassung verliert, hat viele zeitlos gültige Aspekte. Die den durchschlagenden Erfolg – sowohl des Films wie auch der Bühnenfassung – erklären, erkennt sich doch fast jeder, der in einer Beziehung lebt, in der einen oder anderen Facette der Liebe und ihrer Ambivalenzen wieder.
Jan Bosse inszenierte Szenen einer Ehe am Schauspiel Stuttgart auf kongeniale Weise. Schon das Bühnenbild macht auf den ersten Blick neugierig. Man sieht ein verschachteltes, mehrstöckiges Haus mit dem Schlafzimmer und dem Ehebett in zentraler Lage. Die Drehbühne ermöglicht verschiedenste Blicke auf die diversen Schauplätze der ehelichen Auseinandersetzung, der leidenschaftlichen Kämpfe (nicht nur verbal), der Diskussionen, die oft Beleg für Macht und Ohnmacht der Sprache zugleich sind.
In der Stuttgarter Inszenierung sind die Nebenfiguren eliminiert. Die Kinder aus dieser Ehe spielen bei der gegenseitigen Zerfleischung und zugleich der Unfähigkeit, sich endgültig von einander trennen zu können, keine Rolle. Sie tauchen nur in kurzen Videoeinspielungen ab und an auf.
Grandios die beiden Akteure, die Bosses Konzept – die mit Liebe zum Detail genaue Sezierung dieser Paarbeziehung anhand von zahlreichen Momentaufnahmen – überzeugend und höchst berührend umsetzen. Joachim Król spielt Johan, Astrid Meyerfeldt Marianne – beide sehr intensiv in jeder Phase der von Liebe, Hass, Zweifel, Panik und Angst geprägten Geschichte ihrer Beziehung. Komik und Überzeichnung machen zuweilen durchaus Sinn, zeichnen sie doch die Konturen der zwischenmenschlichen Krise noch schärfer nach. So stellen sich Król und Meyerfeldt zu Beginn - an der Bühnenrampe stehend - dem Publikum auf launige Art als glückliches, aufgeklärtes Paar vor. Dabei spielt Król einen fast zu gut aufgelegten Johan, der sich als guter Steuerzahler und Geliebter rühmt. Meyerfeldt gibt hier eine unsichere, um Zustimmung fast bettelnde Marianne, die jedoch schon scheitert bei dem Versuch, das sonntägliche Essen bei den Eltern abzusagen und das durch hilfloses Grimassieren am Telefon kommentiert. Hier scheint „das einzige Problem die Problemlosigkeit zu sein“. Sehr unterhaltsam, wenn sich die beiden an vergangene Zeiten und politische Jugendaktivitäten erinnern.
Die Bühne dreht sich. Die Atmosphäre ist nach Johans Geständnis, er habe sich in eine Jüngere verliebt, verändert. Marianne reagiert panisch, rudert mit den Armen, kämpft um Aufschub für eine weitergehende Entscheidung: „Du musst mir eine Chance geben“. Er bleibt hart, unzugänglich, verbittert: „Ich bin ein Arschloch und werde mich wie ein Arschloch verhalten“. Faszinierend und virtuos, wie Meyerfeldt und Król die wechselnden Phasen des Geschlechterkampfes durchspielen. Großartig die Bilder, die der Regisseur gefunden hat, so z.B. wenn Król nach seiner Trennung von Marianne (jetzt im Jeansanzug als Symbol für die gesuchte Jugendlichkeit) in einer Bar Arno Lees „All my best days are behind me now“ singt oder wenn Meyerfeldt die von Moos und Efeu überwucherte Front des Hauses hektisch herauf- und hinabklettert, getrieben von der Angst vor Einsamkeit bzw. der Suche nach Nähe. Glaubwürdig Króls spätere Wandlung zum erfolglosen, gefrusteten Wissenschaftler, dem die besitzergreifende Liebe seiner jungen Freundin auf den Geist geht und der gern zu Marianne, deren Veränderung er nicht wahrnimmt, zurück käme: „Woll’n wir es nicht noch mal miteinander versuchen?“ Sie reagiert jedoch mit einem schroff-abweisenden „Du bist naiv bis zum Schwachsinn“.
Am Ende sehen wir in einem Film Johan und Marianne als altes Paar, das scheinbar lange verheiratet ist. Trotz aller Krisen. Ein Plädoyer für den Sieg der Liebe, des langjährigen Vertrauens, der Entscheidung für das Miteinander nach langem und unentschiedenem Bedürfnis nach nähe und zugleich nach Distanz?
Ein Theatererlebnis mit zwei zu Recht frenetisch gefeierten Schauspielern in einer klugen Inszenierung.