Gekochte Bohnen
Die beiden Sessel auf der Bühne sind auch nicht mehr das, was sie mal waren. Ziemlich abgewetzt, ja gerissen sieht das Leder aus. In dem einen, mit dem muschelförmigen Rückenteil und den überbordenden, wulstigen Armlehnen, Marke britisches Clubmöbel, fläzt sich Pablo Picasso. Daneben sitzt, eher steif, ein wenig nach vorn gebeugt, im streng geformten Rechteck-Fauteuil, Salvador Dali. Ein Treffen zweier Giganten der Kunstszene, das sich zu einem Wortduell von Exzentrikern auswächst. Eine Auseinandersetzung der unfair debattierenden Art, bei der jeder vor allem „Ich“ sagt, und beim „Sie“ den Angesprochenen niedermachen will.
Tatsächlich sind sich die beiden vielleicht bedeutendsten Künstler des 20. Jahrhunderts mehrmals begegnet, so auch Ende April 1937 in Paris. Zu einem Zeitpunkt, als der spanische Bürgerkrieg bereits einem wilden Wüten der Welt glich, wenige Tage nach der schrecklichen Bombardierung der baskischen Stadt Guernica. Für Picasso bedeutete dies den traurigen Anlass, das berühmte, gleichnamige Bild zu malen. Dali wiederum hatte bereits ein halbes Jahr vor Beginn der Kämpfe (1936) seine „Weiche Konstruktion mit gekochten Bohnen – Vorahnung des Bürgerkriegs“ erarbeitet.
Für den spanischen Dramatiker Fernando Arrabál war dies Anlass genug, das Stück Dali vs Picasso zu schreiben. Er hatte den Krieg zwar nur als Kind erlebt, doch als Intellektueller, der später unerbittlich die Grausamkeit in den Gefängnissen der Franco-Diktatur anprangerte, stand er stets auf der falschen Seite. Doch Arrabál nutzt die Ernsthaftigkeit der Ereignisse nicht als Hintergrund für ein sperriges Kopftheaterdrama, sondern bringt eine abgedrehte Farce auf die Bühne. Obwohl: Ohne zumindest ein wenig Wissen über Politik und Kunstdebatten jener Zeit vermag sich der eine oder andere im Publikum verloren vorkommen.
Dali vs Picasso wurde 2013 im Théatre National du Luxembourg uraufgeführt, nun hat Ruhrfestspielchef Fank Hoffmann das Stück nach Recklinghausen geholt. Er selbst führt Regie, vermeidet es einerseits, aus den beiden Künstlern Karikaturen zu formen, zeichnet gleichwohl zwei charakterstarke Typen, deren Spiegelfechtereien wir so gebannt wie amüsiert zuschauen. Da ist Picasso (Samuel Finzi), der sich hier ganz ahistorisch, politisch unbeleckt und schnoddrig im Schmuddellook gibt, der sowieso nur eines im Kopf zu haben scheint: Sex. Und da ist Dali (Marie-Lou Sellem), exaltierter Dandy im Nadelstreif und mit Stock, der sich vor allem rühmt, sein Bild (das mit den Bohnen) zeige den Krieg vorausahnend in allen schrecklichen Facetten.
Ausstatter Christoph Rasche hat die beiden in einen muffigen Salon hineinbugsiert, die schrundigen Seitenwände sind mit dickem Pinselstrich farblich aufgehübscht. Hinten aber, anfangs nur zu erahnen, prangt Picassos Meisterwerk „Guernica“. Dalis Gemälde wiederum – das mit den Bohnen – wird erst am Ende auf eben die Seitenwände projiziert. Nach 75 Minuten Debatte ist so etwas wie gegenseitige Wertschätzung erreicht. Denn nach allen Beleidigungen, Frotzeleien und Provokationen finden die Künstler, als Schicksalsgemeinschaft der Exilanten, zueinander.
Autor Arrabál hat also seine „Helden“ versöhnt, wenn nicht das wirkliche Ende in Hoffmanns Regie noch eins drauf setzen würde: Picasso und Dali sind Opfer ihrer selbst geworden und in der Psychiatrie gelandet. Gepflegt, gehätschelt und besänftigt von ihren jeweiligen Gefährtinnen Dora Maar (Jacqueline Macaulay) und Gala (Luc Feit). Die in ihrem gelegentlichen Hereinplatzen in die Szene eher nerven, denn eine Bereicherung sind. Die wie eine Beigabe wirken, immerhin dazu ausersehen, dem statischen Gefecht der großen Geister ein wenig äußere Handlung beizumischen.
Wunderbar hingegen die beiden Hauptdarsteller. Samuel Finzi gibt Picasso mal als geiler Bock, mal als Meister der Überheblichkeit, dem die Welt egal ist. Doch wenn der millionenschere Auftrag ins Haus schneit, für den Pavillon der Republik Spanien bei der Pariser Weltausstellung ein Bild zu malen, gerät seine Ohne-mich-Haltung arg ins Wanken. Dann zuckt’s im Gesicht, die Augen flackern unruhig, der Künstler flüstert und brabbelt in sich hinein. Die grauen Zellen scheinen im Abwägen sichtbar zu routieren, Noch besser Marie-Lou Sellem, die sich als Dali in Zuständen ergeht, Halbsätze herausschleudert, manche Wörter betont, als seien sie eine Waffe. Beide steigern sich in einen Rausch des Spiels, der darin kulminiert, dass einer die Parodie des anderen gibt.
Das ist so herrlich wie geistreich wie absurd wie unterhaltsam. Und als wohltuend empfinden wir die Aussparung von Bildern, die nur spanische Klischees bedienen würden. Eine kleine Flamencoeinlage mag albern erscheinen, aber im Irrenhaus ist wohl alles erlaubt. Am Ende wird das Licht ausgeknipst – großer Applaus.