Wie wirklich ist die Wirklichkeit?
The Comedy of Errors (Die Komödie der Irrungen) wird von manchen als erste Komödie Shakespeares gesehen. Die früheste belegte Aufführung fand am 28. Dezember 1594 an der Londoner Juristenschule Gray’s Inn statt. Unklar bleibt, ob es die Uraufführung war oder ob das Werk bereits früher entstanden ist.
Zum Inhalt: die Zwillingssöhne des Aegeon kamen zeitgleich mit einem anderen Zwillingspaar zur Welt. Da die Eltern dieses zweiten Paares verarmt waren, kaufte Aegeon die fremden Zwillingskinder, um sie seinen eigenen Söhnen als Diener zu geben. Mit beiden Zwillingspärchen gerieten Aegeon und seine Frau in Seenot. Je ein Zwilling und sein Diener wurden von dem Rest der Familie getrennt. 18 Jahre später machen sich die in Syrakus lebenden Zwillinge auf die Suche nach ihren Brüdern. Die Suche führt sie nach Ephesus, einem in der Bibel und in der Antike für Gaukel- und Zauberwesen berüchtigten Ort.
Die Verwechslungskomik der Zwillinge in der Comedy of Errors folgt der Handlungsstruktur von Plautus‘ Komödie Menaechmi. Jedoch hat Shakespeare das farcenhafte Element gegenüber der Plautus-Komödie durch die Zugabe des Diener-Zwillingspärchens verstärkt. So verdoppelte er das ausgeklügelte Verwechslungsspiel erheblich, weitere amüsante Missverständnisse sind die Folge. Andererseits versuchte Shakespeare auch, durch eine differenzierte Charakterzeichnung und die detaillierte Darstellung zwischenmenschlicher Konflikte die humanen Züge in dem Stück zu unterstreichen.
Die Propeller Company (früher Watermill Company) gastierte 1997 erstmals beim Neusser Shakespeare Festival mit einem unvergesslichen Henry V. Edward Hall, der auch bei der Comedy of Errors Regie führte, arbeitet mit einem für die Company typischen „all-male ensemble“, wie es der Aufführungstradition zu Shakespeares Zeit entspricht. Das durch die Bank weg hervorragende Ensemble unterhält bei allen Produktionen der Truppe in der Pause das Publikum mit populären Songs, um Spenden für einen wohltätigen Zweck zu sammeln. Das Konzept dahinter: jede Aufführung soll ein Event sein.
Halls Comedy of Errors spielt irgendwo heute in einem südamerikanischen Staat, wo immer wieder ein lebhaftes Treiben auf der Bühne herrscht. Männer mit breitrandigen Sombreros spielen lebensfrohe Mariachi-Musik, hier sei nur „The Girl from Ipanema“ als einer der bekanntesten Songs genannt. Wie so oft in Propeller Produktionen werden ab und an einzelne Zuschauer oder das ganze Publikum direkt angesprochen, was ein besonders entspanntes Gefühl der Vertrautheit mit den Akteuren schafft.
Die turbulente Geschichte der Zwillingspärchen wird gekonnt-lebhaft, mit vielen Slapstick-Einlagen, erzählt. Bravourös die Darsteller der beiden Antipholus (Dan Wheeler, Joseph Chance) und ihrer Diener (Will Featherstone, Matthew McPherson). Höchst unterhaltsam aber auch James Tucker als Adriana, der Ehefrau des Antipholus von Ephesus. Mit Leopardenleggins und –tasche und zuweilen einer die Attraktivität auffrischenden Gesichtsmaske glaubt man ihr sofort ihr Verlangen nach der Liebe ihres Gatten („my heart prays for him“) und die Enttäuschung ob seines scheinbaren Desinteresses („don’t you want me, baby?“). Gut als Kontrast Arthur Wilson als ihre sanftere Schwester Luciana, deren innigster Wunsch es ist, verheiratet zu sein. Köstlich der Regieeinfall, Dr Pinch (Darrell Brockis) als ekstatischen Wunderheiler – wie man sie aus US-Bibelshows kennt – auftreten zu lassen. Und bei allem trubeligen Geschehen lauert doch immer im Hintergrund die nicht näher definierte düstere Macht der Regierung eines totalitären Staates, dessen Oberhaupt – hier der Herzog (Dominic Gerrard) – schon zu Beginn mit einer Pistole herumfuchtelt.
Erfrischend und vergnüglich die Auflösung aller Verwechslungen dieses Alptraumes am Ende, wenn auch Aegeon (Chris Myles) seine verschollen geglaubte Ehefrau in einer Äbtissin (Alasdair Craig in für dieses Amt ungewöhnlichen hohen, lila Lacklederstiefeln) wiederfindet.
Ein hinreißender Abend mit praller Unterhaltung – deftig, gekonnt, musikalisch - so wie man es sich im Globe der Shakespeare-Zeit hätte vorstellen können. Eine Inszenierung mit Suchtpotential.