Übrigens …

TRASHedy im Dortmund, Schauspielhaus

Die Metamorphose der Kuh

Eine 20 Monate alte Inszenierung im Rahmenprogramm des NRW-Theatertreffens? Nun, TRASHedy erhielt beim Kinder-und Jugendtheatertreffen NRW Westwind im Jahre 2013 sowohl den Preis der professionellen Jury als auch den Preis der Jugend-Jury. Wenn Profis und jugendliche Theater-Connaisseure sich so einig sind, muss ja was dran sein an der Qualität der Produktion, und so wollten die Dortmunder Organisatoren des diesjährigen Erwachsenen-Theatertreffens sie ihrem Publikum nicht vorenthalten. Sie zeigten sie in ihrem ohnehin ungewöhnlich reichhaltigen und kreativen Rahmenprogramm.

Leicht, locker und ohne erhobenen Zeigefinger weist TRASHedy auf die Tragedies hin, die der achtlose Umgang mit Müll und die bedenkenlose Verschwendung von Ressourcen über unseren Planeten zu bringen drohen. Die Aufführung des gebürtigen Argentiniers Leandro Kees beginnt wie ein Stück von Philipp Löhle: mit einem Zoom hinab in die tiefste Vergangenheit und anschließender rasanter Zeitreise ins Heute. Das Leben der Tiere war bei Janosch und vor den Zeiten von Noahs Arche möglicherweise noch recht vergnüglich: Angesichts der Rasanz, mit der Daniel Mathéus und Leandro Kees als Tiere aus Urwald und Ursuppe aus den Startlöchern kommen und mit urkomischen Lauten und Bewegungen über die Bühne hüpfen, sind wir jedenfalls wenige Sekunden nach Beginn der Aufführung verzückt. Ein paar süße Videobilder tun das ihre dazu; doch in Windeseile werden die Geräusche kakophonischer: Flugzeuglärm statt Möwengekreisch, die Laute von Autohupen, bedrohliches Knistern und Maschinengeräusche dominieren nun die elektronische Musik. Die Performance wandelt sich rasend schnell von der Comedy zur bösen Bestandsaufnahme unseres Lebensstils und unserer Umweltbedingungen; mehr und mehr Plastikbecher und Strohhalme müllen die Bühne voll. Papierbecher, so erfahren wir nebenbei, richten zwar andere, aber keineswegs weniger furchtbare Desaster für unsere Umwelt an. Doch away with melancholy: Auf dem TV-Bildschirm erscheint die Aufforderung: „Buy more stuff!“

Buy more stuff? Zum Beispiel: Schuhe! Irrwitzig witzig, aber eben auch zum Nachdenken zwingend wird auf der Leinwand die Metamorphose der Kuh zum Lederschuh visualisiert, untermalt erneut von einem Klangteppich aus elektronischer Musik und Geräuschen. Die Bilder anfangs lichter Hochhäuser verdüstern sich mit zunehmender Verstopfung der Wohnungen durch Elektro- und Medienjunk, in den Wohngegenden wachsen qualmende Schornsteine empor, die Verkehrsgeräusche nehmen zu. Spielerisch leicht und mit ganz einfachen Mitteln zeichnen die beiden Performer und der Klang- und Videokünstler Martin Rascher das Bild von einer Wohlstandsgesellschaft, die irgendwann vielleicht ganz überrascht sein wird, wenn sie an ihrem Wohlstandsmüll erstickt. Denn ob es bedenkenlos oder nur gedankenlos ist, wie wir unsere Ressourcen verschwenden, unsere Plastikbecher und -tüten in der Landschaft verteilen oder noch die 200 Meter zum Bäcker mit dem Auto fahren - das lässt die Inszenierung in der Schwebe. Sie klagt nicht an: Sie beschreibt und stellt Fragen. Wenn sie nach der Hälfte der 50minütigen Spieldauer vorübergehend etwas moralinsauer zu werden droht, merken wir: Moralpredigten und Aggressivität tun der Aufführung nicht gut.

 

Das wissen auch die Performer. Sie steigen aus der Geschichte aus, so als handele es sich um eine Probe: „Wir wollen nicht belehrend wirken“, sagen sie und zeigen ihre eigene Ratlosigkeit auch im Hinblick auf das behandelte Thema. Da sind keine veganen Spinner am Werke: Ab und zu mal ein ordentliches Stück Fleisch gönnen sie sich gern, und vielleicht muss man ja auch nicht ein ganzes junges Leben lang einen großen Bogen um jeden McDonald’s machen, wenn der Hunger einen mal in den Fast Food Laden treibt. Aber bewusster konsumieren - bewusster einkaufen, bewusster essen, Freizeit und Arbeitswelt energiesparender gestalten: das können wir schon.

Das junge Publikum - angesprochen wird eine Zielgruppe von Zuschauern ab 10 Jahren; in der besuchten Aufführung saß eine stark migrantisch geprägte Hauptschulklasse - begreift dies problemlos. Und zeigt sich fasziniert von einer Theaterform, die es vermutlich noch nie erlebt hat: einer genreübergreifenden Performance aus Schauspiel und Tanz, Pantomime und Animationen, Video und Musik. Es hat Freude an der Fröhlichkeit und Ironie, mit der das Darsteller-Team seine Botschaft über die Rampe bringt. Die Komplexität des Themas sickert eher unmerklich in die Köpfe. Wie Leandro Kees und seine Kollegen es geschafft haben, diese Komplexität ohne inhaltliche Einbußen zu verdichten und in eine ganz einfache, sehr unterhaltsame Darstellungsform zu bringen, ist das größte Wunder dieser Inszenierung.