Der Prozess im Aachen, Theater

Wesentliches Rauschen

Auch in seiner ersten Inszenierung nach seiner Wuppertaler Intendanz zeigt Christian von Treskow seine bekannten Stärken. Er liest die Stücke extrem genau, vermag die dadurch gewonnenen Eindrücke und Erkenntnisse zwingend zu vermitteln und verzichtet dabei auf jeden überflüssigen Schnickschnack. Der Aachener Prozess begeistert darüber hinaus durch großen erzählerischen Drive und überraschend viel eleganten Witz.

Ästhetisch setzt Treskow in der letzten Nachkriegszeit auf. Einflüsse des politischen wie des absurden Theaters der 50er und 60er Jahre sind genauso deutlich wahrzunehmen wie eine intensive Beschäftigung mit dem zur selben Zeit entdeckten – oder wieder gefundenen – „Leeren Raum“. Dorien Thomsen und Sandra Linde, die auch für die Kostüme verantwortlich sind, haben eine Theaterbühne auf die Bühne gesetzt. Scheinwerfer und allerlei Gerät sind, abgesehen von mobilen Elementen wie Bett, Badewanne oder Laufstall auf Rollen, die einzigen Requisiten. In die Rückwand sind ein gefakter Fahrstuhl und ein genauso simulierter Überwachungsraum resp. Tonstudio eingebaut. Vor der Bühne findet sich eine Reihe von grauen Samttheatersesseln, von der man direkt ins Publikum schaut.

Zu Beginn liegt Josef K. im Bett. Rauschen. Schrecklich laut. Licht aus auf der Bühne. Licht an im Zuschauerraum. Das wiederholt sich mehrmals. Schnell wird das Publikum unruhig, konzentriert sich aber genauso schnell wieder, absorbiert vom in Gang kommenden dramatischen Sog. Im ungewöhnlichen Anfang artikuliert Treskow die Leitthemen der nahezu dreistündigen Vorstellung. Es geht um subjektive, oftmals täuschende Wahrnehmung, um die Schwierigkeit für den Einzelnen zur Ruhe zu kommen, ohne einsam zu sein und wohl auch um die Artikulation eines starken Unbehagens an Kafkas Roman und dessen Stoff.

Das tritt klar zu Tage, weil Benedikt Voellmy ein fest umrissener, stringenter und dennoch sehr vielschichtiger Protagonist gelingt. Selbstbewusst bis zur Arroganz, aber verklemmt und nahezu lebensuntüchtig, eigentlich erfolgreich, aber in schrecklicher Weise von jenem vorauseilenden Gehorsam besessen, der den Bürger widerstandslos der Bürokratie unterwirft, wirkt dieser Josef K. dennoch nicht künstlich oder minderwertig. Man geht zumindest ein großes Stück seines Weges gerne mit ihm. Um Benedikt Voellmy agiert ein frei und dennoch außerordentlich diszipliniertes sechsköpfiges Ensemble, jeweils in etlichen Rollen, aber auch mit dominanten Einzelauftritten. Da gibt Elke Borkenstein, überaus fantasie- und wirkungsvoll kostümiert, den jungen Frauen, sämtlich Objekte von K.s Begierde, klares, die Karikatur angenehm streifendes Profil, ist Markus Weickert ein so unheimlicher wie Mitleid erregender Kaufmann Block, Marco Wohlwend ein beängstigend souveräner Onkel, Karsten Meyer ein so witziger wie erschreckender Advokat. Dazu zeigt Florian Denk, vor allem als Gerichtsdiener und als Maler Titorelli, erstaunliche Wandlungsfähigkeit. Nur Elisabeth Ebeling gelingt es nicht ganz, die berühmte Türhüterepisode zu jenem Höhepunkt des Textes zu machen, den Kafka und wohl auch Christian von Treskow vorgesehen haben. Sie durchdringt den Text sprachlich, aber hier fehlt es an jener Schärfe, an jener distanzierten Grenzziehung, die den anderen Schauspielern, und auch Elisabeth Ebeling, über den langen Abend sonst scheinbar mühelos gelingt.

Als Ganzes betrachtet ist dieser „Prozess“ anspruchsvolles, teilweise sogar aufregendes Theater, ein Muss nicht nur für Abiturklassen!