Übrigens …

Onkel Wanja im Bochum, Schauspielhaus

Ein Abend über unglückliche Menschen

Wie schon in der letzten Spielzeit eröffnete das Bochumer Schauspielhaus mit einem Werk eines russischen Dramatikers. Stephan Kimmig inszenierte Tschechows Onkel Wanja auch in Anlehnung an Jürgen Goschs Interpretation des Werkes, die über Jahre hinweg auf dem Spielplan des Deutschen Theaters in Berlin stand, wo Kimmig Hausregisseur ist.

Onkel Wanja, Untertitel „Bilder aus dem Landleben“, zeigt ein System festgelegter Rituale und Gewohnheiten, das innerhalb einer Gruppe von Menschen so lang funktioniert und akzeptiert wird, bis ein von außen kommender Einfluss es in Frage stellt.

Iwan Petrowitsch Wojnitzki (Wanja) verwaltet das Gut seiner verstorbenen Schwester. Ihr Mann, Professor Serebrjakow, ist mit seiner jungen zweiten Frau Elena zu Besuch gekommen. Normalerweise lebt er mit ihr in der Stadt von den Erträgen des Gutes, auf dem sich Onkel Wanja und Sonja, die Tochter des Professors aus erster Ehe, seit vielen Jahren abrackern. Der Besuch des alternden Gelehrten, der sich als Schmarotzer und Hypochonder entpuppt, und seiner schönen Frau bringt das zwar langweilige, aber doch vertraute Alltagsleben gründlich durcheinander. Wanja schläft und arbeitet nicht mehr. Sonja, ein liebes, aber hässliches Mädchen, liebt den überarbeiteten Landarzt und Ökologen Michail Astrow, der Bäume pflanzt, um den Wald zu retten, und der das provinzielle, spießige Landleben hasst. Dieser verliebt sich jedoch in ihre Stiefmutter Elena. Sie erwidert zwar seine Gefühle, will aber ihren Mann nicht verlassen. Sonja bleibt nur die Hoffnung auf das Jenseits: „Dann werden wir ausruhen“.

Als der Professor das Gut verkaufen will, kommt es zum offenen Konflikt. Wanja gibt zwei Schüsse auf den Professor ab, verfehlt aber sein Ziel. Die ungebetenen Gäste reisen ab. Sonja, Astrow und Wanja bleiben desillusioniert zurück. Auch der Arzt geht fort, Wanja kann zwar das Gut erhalten, bricht aber seelisch zusammen.

Tschechow zeichnet in diesem Drama den Ausbruch persönlicher Krisen in einer bestimmten Lebensphase. Evident, dass alle Personen händeringend nach einer Leitlinie in ihrem Leben, nach einem Sinn suchen.

Die Bühne im Bochumer Haus spiegelt den desolaten Seelenzustand der Menschen wieder. Vier Reihen von Stahlrohren, die an Baugerüste erinnern, auf dem holzgetäfelten Boden sind mit hölzernen quer liegenden Platten ansatzweise abgedeckt. Ein trister Ort mit Pfützen auf dem Boden. Die Schauspieler treten aus dem Zuschauerraum auf und sind während des ganzen Abends präsent. Agieren sie nicht gerade, sitzen sie nebeneinander an der hinteren Bühnenwand, neben Ständern mit Garderobestücken für Kostümwechsel auf offener Szene.

Felix Rech spielt überzeugend Astrow, der sich zutiefst unglücklich fühlt und zunehmend verzweifelt. Ständig zappelt er herum und juckt sich, die personifizierte Unruhe. Glaubhaft sein Plädoyer für einen vernünftigen Umgang mit der Natur, was ja nach wie vor aktuell ist. Peter Lohmeyer mag man – so aufgeputzt er im Anzug, mit Hut und Sonnenbrille daher stolziert – seine Rolle als alternder Mann und Despot nicht so recht abnehmen. Er bleibt farblos, auch im pinkfarbenen Jackett, wahlweise im gestreiften Satinschlafanzug. Therese Dörr ist Elena, zunächst mehr das attraktive Luxusweib in High Heels, das sich in Pose wirft. Später schlufft sie in Pantoffeln herum und beklagt die Langeweile des Landlebens. Gut als Kontrast dazu Minna Wündrich, die Sonja nachdrücklich als eine von der Natur Benachteiligte verkörpert. Nachvollziehbar ihre Enttäuschung ob der nicht erwiderten Liebe zu dem Arzt. Werner Wölbern in der Titelrolle zeichnet Wanja als einfachen, aggressiven Menschen, der – frustriert von der Abweisung Elenas – trinkt, weil dies sich etwas „wie Leben anfühlt“.

Ein Stück über fehlgeschlagene Lieben, über Enttäuschungen – gewiss daher auch aktuell. Und trotzdem spürt der Zuschauer nur ab und zu einen direkten Zugang zu den Problemen der Charaktere. Warum häufig viel im Kreise gelaufen, an den Stangen geturnt oder eine Campingliege (eine der wenigen Requisiten) traktiert wird, wenn die Emotionen hoch kochen, erschließt sich nicht. Schade.