Was haben Wum und Wendelin mit Shakespeare zu tun?
Der alte König ist auf ungeklärte Weise verstorben. Seine Witwe Gertrud heiratet kurz darauf ihren Schwager Claudius. Hamlet, ihr Sohn, ist außer sich vor Trauer und rast gegen das neue Königspaar. Er sinnt auf Rache und beschließt, den Dingen auf den Grund zu gehen. Um seine Ansichten besser verfolgen zu können, spielt der junge Prinz den Wahnsinnigen. Seine Freundin Ophelia, Tochter des königlichen Beraters Polonius, verstößt er. In einer wahnwitzigen Theatervorstellung konfrontiert er den Onkel mit seiner Schuld, der daraufhin die Ermordung von Hamlets Vater gesteht, allerdings nicht vor Zeugen. Gertrud stellt ihren Sohn zur Rede, Polonius belauscht das Gespräch und wird von Hamlet irrtümlich getötet. Jetzt hat auch der Dänenprinz seine Unschuld verloren.
Kay Voges setzt mit seiner Inszenierung des Hamlet-Stoffes die Experimente mit Videoprojektionen und Live-Cam fort, zuletzt realisiert in Psychose 4.48. Wobei Shakespeares Politthriller auf Schloss Helsingör nur einige Anstöße gibt für eine Reflexion über unsere von allgegenwärtiger Überwachung à la NSA bestimmte Gegenwart gibt. Was fasziniert und überfordert uns heute? Was verängstigt und verwirrt uns? Was sind die Krankheiten im Europa des Jahres 2014? So die Grundgedanken dieser Inszenierung.
Der Abend beginnt mit dem vierten Akt, der uns eine verwirrte Ophelia (Bettina Lieder) sowohl als Projektion auf der großen Leinwand zeigt, die sich quer über die Bühne erstreckt, wie auch live auf der Bühne. Eine Ausnahme in dieser Produktion. Spielt sich doch das Geschehen in einem für das Publikum unsichtbaren Raum ab und wird per Video-Cam auf die Leinwand übertragen, ergänzt und kommentiert durch eine Flut von Bildern aus dem WorldWideWeb. Da Voges dem Shakespeare-Plot eine weitere Ebene zuordnet – eben die Betrachtung der Gegenwart -, wird Dänemark mit einem Überwachungsstaat gleichgesetzt, sehen wir Bilder vom Tahrirplatz in Kairo, vom Majdan in Kiew, von Volksmassen im Revolutionstrubel oder auch in Karnevalsbegeisterung. Die Leinwand wird häufig in hunderte Felder aufgeteilt, die auch mal verwirbelt werden. Akustische Signale wie ein Dauerbrummen strapazieren die Zuschauer ebenso wie die nicht abreißende Projektion von Videoclips. Hamlet (Eva-Verena Müller) ist ein typischer Teenager mit Batman-Gürtel, weißblonder Bürstenfrisur und strenger Brille, der sich gern in sein Kinderzimmer mit vielen, großen Kuscheltieren zurückzieht und eine Runde heult. Was hat das mit Shakespeares Protagonisten zu tun? Laertes (Christoph Jöde), der Sohn des Polonius (Michael Witte als Mischung aus blutbespritztem Arzt und Frankenstein) gibt eine Art Whistleblower, der sich in endlosen Tiraden mit Sprüchen wie „Der Microchip gibt den Takt vor“ ergeht, ausnahmsweise mal auf der Bühne.
Den Schauspielern ist für ihre Leistung Respekt und Lob zu zollen. Zu nennen wären noch Sebastian Kuschmann als Hamlets Vater (der gerade eine Regierungserklärung vor laufender Kamera gibt, als das Gift ihn röchelnd sterben lässt), Carlos Lobo als Claudius und Friederike Tiefenbacher als Gertrud. Frank Genser und Uwe Schmieder spielen „zwei Schauspieler, formerly known as Rosencrantz and Guildenstern“. Zum Ende des Abends schlüpfen sie in hellblaue Strampelanzüge und springen als Wum und Wendelin auf die Bühne, um wiederholt zu skandieren: „Wir machen politisches Theater“.
Es gibt keine Applausordnung, man bittet um Statements per SMS und E-Mails und filmt die Zuschauer. Diese gehen nach einiger Zeit.
Ein verwirrender, zum Teil enttäuschender Abend, der nicht zuletzt wegen des fehlenden Spiels auf der Bühne einen emotionalen Zugang zu dem ohnehin arg reduzierten Hamlet-Stoff unmöglich macht. Technik statt Theater im Sinne von Theaterspiel? Ein Ansatz, der nicht jedem einleuchtet.