The Shadow (ein musikalisches Schattenspiel) im Köln, Schauspiel

Identitätsverlust

Bereits bei einer Zwillingsexistenz könnte Furcht darüber aufzukommen, dass die eigene Erscheinung verwechselbar werden könnte, auch wenn eine individuelle Persönlichkeit erhalten bleibt. Wenn sich aber auch diese auflöst und vielleicht sogar auf eine andere Person überträgt, kann das zu einer existenziellen Ich-Spaltung führen. Diese morbide Vorstellung hatte in der Romantik, der „schwarzen“ zumal, reichen Nährboden. Der Schatten wird seit jeher als unverzichtbarer Teil des Menschen angesehen, sein Verlust ist existenziell gefährdend. Adelbert de Chamisso hat das in seiner „Schlemihl“-Geschichte literarisch verarbeitet, Hugo von Hofmannsthal konzentrierte das Phänomen in „Frau ohne Schatten“ (Opernlibretto für Richard Strauss) auf die Kinderlosigkeit. Auch Hans Christian Andersen nahm sich in seiner Erzählung Der Schatten des Themas an.

Diese Geschichte hatte der Allround-Künstler Chilly Gonzales schon seit langem im Visier. Das Angebot von Schauspiel Köln und Kampnagel Hamburg, etwas für das Theater zu machen, kam ihm dafür gerade recht. In dem befreundeten Regisseur Adam Traynor fand er für seine theatralische Debütarbeit die rechte Unterstützung. Kennengelernt hatten sich die beiden beim Berliner Künstler-Kollektiv „Puppetmastaz““, welches mit Puppen arbeitet und eine bestimmte Art von Sprechgesang pflegt, um neue Formen des Bühnendarstellung und des theatralischen Ausdrucks zu erkunden.

Das Spiel mit Puppen ist in Köln durchaus nichts Neues. Suse Wächter hat mehrere Produktionen gemacht, Regisseur Moritz Sostmann u.a. Brechts Guten Menschen von Sezuan mit diesen Mitteln hochinteressant in den Griff bekommen. Die Shadow-Darsteller haben kein Wort zu sprechen. Der Abend gleicht einem Live-Stummfilm: Gonzales sitzt mit Freunden als Begleitorchester in einer Art Pavillon, Projektionen von Zwischentiteln werden auf zwei Leinwandtafeln geworfen. Niklas Kohrt als Professor, der seinen Schatten verliert, wirkt wie eine Mixtur aus Buster Keaton und Conrad Veidt („Caligari“), Melanie Kretschmann als sein dunkles Alter Ego wie ein Entertainer mit viel ballettartigem Bewegungsvokabular. Dieser sich verselbstständigende Schatten wird zu einer dämonischen Überfigur, kommt seinem Besitzer immer heftiger in die Quere, bemächtigt sich komplett seiner Persönlichkeit. Er sticht ihm sogar eine schöne Prinzessin (Sabina Perry) aus, die er sich zuletzt - makabres Finale - ebenfalls als Schatten unterwirft.

Diese beklemmende Geschichte wird von Adam Traynor mit wirkungsvollen, ironisch gebrochenen  Gruseleffekten inszeniert, doch stellt sich ein Erschrecken über die tiefenpsychologischen Dimensionen des Sujets nicht wirklich ein, auch wenn das Gesicht von Niklas Kohrt den Ich-Verlust des Professors durchaus spiegelt. Bei dem hübsch bebilderten Geschehen gewinnt L’art-pour-L‘Art letztlich Oberhand. Daraus zieht der Abend zwar optischen Gewinn (auch durch die gefällige Bühne von Jens Kilian), aber man wähnt sich bei einer Märchenerzählung, deren Tiefendunkel unerschlossen bleibt.

Die Musik von Chilly Gonzales hat viel für sich, wirkt angenehm salonhaft, ohne freilich in Abgründe zu schauen, wie sie etwa Franz Schuberts Ballade vom „Doppelgänger“ bietet. Die Bilderwelt von Gonzales/Traynor trägt die gut anderthalb Stunden der Aufführung aber durchaus unterhaltend.