Einen Lada kurzgeschlossen und ab ins Leben
Trotz Sozialstunden und Heimunterbringung: Diese Sommerwoche hat sich gelohnt. Maik und Tschick sind nach einer Tour mit einem geklauten Lada durch die ostdeutsche „Walachei“ dem Erwachsenwerden ein ganzes Stück näher gekommen. Die Begegnungen mit diversen, manchmal auch skurrilen Menschen lässt sie die Welt der Erwachsenen besser verstehen.
Und sie können auch ihre Außenseiterrollen einordnen: Maik hat keine Freunde, sein Vater ist trotz Villa mit Pool pleite und will gerade seine Familie verlassen. Seine Mutter hat Alkoholprobleme und fährt statt auf die Beauty-Farm in den Entzug. Freunde hat der Russlanddeutsche Tschick auch nicht. Ein Außenseiter, der sich durch das Bildungssystem bis auf das Gymnasium vorgekämpft hat.
Die Woche im Lada begründet nicht nur eine Freundschaft. Auf jeder Etappe gibt es etwas zu entdecken. Isa etwa, das Mädchen von der Müllkippe, ist stark und selbstbewusst. Ganz anders als die von Maik angebetete Modepuppe Tatjana. Und da entspinnt sich eine zarte Liebe. Oder der Weltkriegsschütze, der nicht loskommt von seinen Kriegserlebnissen, einsam und verbittert in einem Braunkohlerevier lebt. Das verstört die Jungs, aber sie lernen Verbitterung kennen und das Leben in der Vergangenheit.
Tanja Weidner inszeniert frisch und vorwärtsgewandt auf einer schiefen Ebene, die Stefan Bleidorn einem Skaterpalace entlehnt haben könnte. Bewegungsreich wird agiert und allen Akteuren liegen die Sprüche pubertierender Jugendlicher locker auf den Lippen. Und natürlich fehlen auch die nachdenklichen Momente nicht. Sven Heiß agiert als Tschick mit wunderbarem slawischem Akzent, Claudia Kainberger stürzt sich mit Verve in die kleinen Rollen, glänzt als Isa Schmidt mit der ganz unprätentiösen Frage: „Willst du ficken?“ Und Florian Bender gibt den Maik herrlich unsicher. Da wirken seine Textunsicherheiten wie eingebaut. Klasse!
Wolfgang Herrndorfs Erfolgsroman steht mittlerweile in seiner Bühnenfassung an vielen Theatern – auch in NRW – auf dem Spielplan. Und er ist selbstverständlich ein Erfolgsgarant. Denn am Ende können alle zufrieden nach Hause gehen, wie der Abend im Wolfgang Borchert-Theater zeigt. Diejenigen, deren Kinder die Pubertät hinter sich haben mit einem vielleicht verklärenden „Weißt du noch..?“ - die, die keine Kinder haben mit dem Gottseidank-Gefühl. Und all’ jene, denen das noch bevorsteht mit der Hoffnung, dass alles gut wird.
Maik jedenfalls kann am Ende getrost mit seiner Mutter Designer-Möbel im Pool versenken, nachdem sein Vater die Familie verlassen hat. Und Tschick kann offenbaren, dass er nicht wirklich auf Mädchen steht.
Ein wunderbarer Wohlfühlabend am münsterschen Mittelhafen, den das Publikum mit viel Applaus honoriert.