Übrigens …

Urfaust im Theater Münster

Sinn und Sinnlichkeit

Am Ende steht Faust sinnbildlich nackt da. Mephisto hat dessen Gedankenwelt, seine Wünsche und Begierden vollständig offen gelegt, ihm den Spiegel vorgehalten und im Grunde genommen nur eine große Leere vorgefunden. Und deshalb ist es konsequenterweise Mephisto, dem es vor Heinrich graut.

Robert Teufel gestaltet den Urfaust zu achtzig packenden Minuten, von denen man keine einzige missen möchte. Da ist alles stringent, die Szenen sind perfekt verbunden und kein Gedanke verpufft im Raum. Auf vier Personen hat er das Stück reduziert und damit eine große Intensität geschaffen.

Faust ist kein lebensüberdrüssiger, verzweifelt nach Sinn suchender alter Mann, sondern jung und lebensgierig. Er sucht nicht nur den Sinn aller Dinge – nein er sucht auch Spaß und den ultimativen Kick.

Und es kann auch viel gelacht werden in diesem Urfaust. Wenn etwa Faust und Mephisto von einer gigantischen Sauftour zurückkommen so sind sie herrlich und unbeschwert – Brüder im Geiste. Florian Steffens und Christoph Rinke leben das vor, als ob sie die Tür zur gemeinsamen WG aufmachten. Da wird mit Cola herumgespuckt und die letzten Pommes aus der Tüte gegessen – eine typischer Samstagabend, oder besser Sonntagmorgen halt.

In Teufels Inszenierung sind Faust und Mephisto wirklich zwei Seiten einer Person. Von Beginn an ist Rinke (mit einem schickem Irokesen auf dem Kopf) zugegen und während Faust Sabine Mäders wuchtigen Rahmen, der das Geschehen zusammenhält, in ohnmächtiger Wut auf sich und die Welt zerstören will, versucht er ihn wiederherzustellen.

Den ungestümen, wilden, zweifelnden und manchmal rührend kindlich glücklichen Faust gibt Florian Steffens mal dunkel-zerstörerisch, mal einfach umwerfend charmant. Und erweist sich als Meister der Zwischentöne: Eben noch voll auf dem Trip, will er sich bei Margarethe wieder ins rechte Licht setzen, großspurig und ein wenig gönnerhaft. Da kann man förmlich spüren, wie ihn das Grauen überkommt, als er realisiert, dass er Margarethes Leben zerstört hat.

Lilly Groppers berührendes Gretchen sorgt dafür, dass alles Komödienhafte, manchmal auch durch die kraftvolle Sprache fast Burleske immer wieder gebrochen wird. Sekundiert von der burschikosen Marthe Carola von Seckendorffs lässt sie sich leichter Hand auf einen Flirt mit dem feschen Faust ein. Gropper gelingt es dann um so feiner, die Dekonstruktion ihres Lebens zu verdeutlichen. Die Darstellung der Geburt ihres Kindes bis zum Mord geht sehr nahe. Ihr täuschend echtes, sich bedrohlich steigerndes Babygebrüll machen das Zerschmettern der Gipspuppe unausweichlich und ist gerade darum schockierend.

Am besten wird Robert Teufels Inszenierung charakerisiert durch die beiden eingefügten Monologe aus Ewald Palmetshofers faust hat hunger und verschluckt sich an einer grete. Der hat für Faust und Margarethe geradezu artistische Sätze konstruiert mit fehlplatzierten, im Raum stehenden Redensarten. Sie haben eine perfekte Rhythmik: Wiederholungen, überraschende Schleifen zeugen von hoher sprachmusikalischer Virtuosität. Und doch glauben wir, diese Sprache schon einmal gehört zu haben: diese Platitüden, diese sinnentleerten Floskelkaskaden, diese vergeblich mit Pseudowissen aufgeladenen, in halbvollendeten Sätzen geleisteten intellektuellen Offenbarungseide.

Gropper und Steffens erweisen sich als Meister der Wortakrobatik und entlarven deshalb auch schonungslos das letztlich Hohle und Vergebliche allen Suchens.

Robert Teufel ist ein dichter, konsequenter Urfaust gelungen, der sicher so auch nur möglich ist durch die federnde Interaktion seines Teams auf der Bühne. Da ist zu spüren, dass alle irgendwie suchen und testen, was geht. Das Premierenpublikum schaut gern hin, hört zu und geht mit.