Tippen, Tippen, Tippen
Im fast ausverkauften Düsseldorfer Schauspielhaus hat am Samstagabend Franz Wittenbrinks kultiger Liederabend Sekretärinnen eine bezaubernde Premiere erlebt. Nach 90 Minuten regulärer Spielzeit ließen die überwiegend älteren Zuschauer die Mimen und Musiker erst nach minutenlangem Applaus und drei musikalischen Zugaben von der Bühne. Der Abend in der Regie von Michael Wallner bezauberte im Großen Haus am Gustav Gründgens-Platz mit acht fantastischen Schauspielerinnen, einem großartigen Schauspieler in der Rolle des Hausmeisters und insgesamt hervorragenden gesanglichen Leistungen.
Auch das Bühnenbild im Hintergrund mit Thyssen-Haus und schwungvollem Theaterbau (Bühne: Heinz Hauser) trug mit zu einem genüsslichen Schauspielabend bei. Die 8 Damen "am Schreibtisch des Ruhrgebiets", wie man Düsseldorf zu Zeiten von Kohle und Stahl gerne nannte, hauten anfangs noch gekonnt auf die Tasten ihrer manuellen Schreibmaschinen, erlagen dann aber nach und nach mit überwiegend hinreißenden Schlagern ihren Wunschträumen und Sehnsüchten nach Liebe, Reichtum, Urlaub und Selbstverwirklichung.
Da singt die schwangere Hanna Werth Hildegard Knefs Erfolgssong "Für mich soll's rote Rosen regnen" und streichelt sich bei der Liedzeile "nicht allein sein und doch frei sein" den rundlichen Babybauch. Da kommnt Isabel Hindersin im sexy roten Lederrock mal wieder zu spät ins Großraumbüro, weil sie sich erneut mit einem falschen Mann getroffen hat und bittet mit dem Song "Wieder auf der Erde, abgestürzt" um Entschuldigung. Katrin Hauptmann macht einen auf Superweib an der Schreibmaschine und findet "Ich bin zu geil für diese Welt" und Manuela Alphons im offenherzigen Grünen Kleid bekennt als in die Jahre gekommene "Tippse" sie habe "eine starke und eine weiche Seite, was ich gar nicht bestreite".
Großartig auch die zahlreichen gemeinsamen Refrains der weiblichen Truppe wie etwa bei "Sitting in the morning sun" oder "Bei mir bis du scheen", bei dem der recht faltigen Dame neben dem Rezensenten die Tränen über die Wangen rollen. Überhaupt, ein Blick ins Publikum lohnt. Ältere Herren, die möglicherweise auch mal selbst eine Sekretärin hatten, lauschen mit geschlossenen Augen Sabrina Ascacibar, wunderschön aufgetakelt, bekennt, dass sie eigentlich "viel lieber eine Journalistin, Umweltschützerin oder Politikerin" wäre und sucht sich 90 Minuten lang auf der Bühne immer wieder neu.
Susanne Tremper ist diejenige, die selbst nicht mitbekommt, dass sie auch am Schreibtisch älter geworden ist und sieht aus wie ein Schulmädchen mit roten Stoffblumen im Haar und einer Fliege zur weißen Bluse. Dazu passt dann auch der Schlager "Ein Schiff wird kommen", in dem sie das Mädchen aus der griechischen Hafenstadt Piräus ist. Elaine Cameron ist die im Büro, die als "Versäumte" mal schmählich sitzen gelassen wurde und die sich in die Welt ihrer Gedichte und Bücher flüchtet. Und dann ist da noch Claudia Hübbecker, schlank und mit einem rot-weiß-gepunkteten Kleid angetan.
Sie ist die Einzige im Büro, die ab und an einen Anruf von ihrem aktuellen Freund erhält und dies auch genüsslich den anderen zeigt. Sie scheint der Boss unter den Sekretärinnen zu sein und der Milva-Song "Wer wird als Frau denn schon geboren, man wird zur Frau doch erst gemacht", scheint ihr wie auf den Leib geschrieben zu sein. Kein Wunder, wenn Matthias Fuhrmeister als Bürobote ihrem Charme erliegt und sie bei einem italienischen Schlager wie seine Gitarre in den Armen hält. Überhaupt der Sexappeal! Mal ist der Rock verrutscht, mal die Bluse ziemlich offen, wenn die Damen aus dem Büro des Chefs herauskommen.
Wirklich hinreißend die Szene zum Song "Casanova, tröste mich...", wo alle acht Damen ihren unsichtbaren Wunsch-Prinzen stimmlich und bewegungstechnisch anhimmeln. Und beim Lied "I can't live without you" kommt es fast zum Sex mit der eigenen Schreibmaschine, was wiederum Zwischenapplaus und heitere Minen bei den Zuschauern hervorruft. Fuhrmeister gefällt sich und den Sekretärinnen unter anderem in dem Lied "I'm yours till I die, so in Love, so in Love, so in Love", wo er an George Clooney erinnert. "What's a man without a women?" singt er und erlebt ganz am Ende dieses wunderschönen Abends, dass die von ihm Angebetete ihm - fast beiläufig - ein rosafarbenes Papierherz an die Jacke pappt.
Insgesamt ein frischer, schöner Theaterabend im Großen Haus in Düsseldorf, der an die legendäre Inszenierung "Mütter" vor vielen Jahren erinnert, die über 100mal gespielt wurde und Kultstatus erreichte. Vielleicht sorgen ja die "Sekretärinnen" für ähnliche Furore. Ach ja. Auch die Livemusik von Andreas Hirschmann am Klavier und Sebastian Dörries an der Gitarre trug maßgeblich zum Theatergenuss bei.