Viel gut essen im Köln, Schauspiel

„Wir wollen eine Welt, die wir wieder verstehen“

Sibylle Berg hat ein neues Stück für das Kölner Schauspiel geschrieben, in dem es vordergründig um Männer und die Frage geht: sind Männer in irgendeiner Weise liebenswert und für irgendetwas brauchbar?
Es ist ein für die Autorin typischer Text mit witzig-bösen Formulierungen, ein Text, in dem fast jedes gesellschaftlich halbwegs relevante Thema vorkommt. „Ein Text für einen oder viele“, lautet der Untertitel.
Rafael Sanchez hat in der Halle Kalk inszeniert und schon vom Bühnenbild her die Zuschauer aufgeteilt. Eine Hälfte sitzt auf der einen Seite der weißen, schmucklosen Sperrholzbühne und sieht bzw. hört dem monologisierenden Protagonisten (Yuri Englert) um die Vierzig zu, der ein Gourmet-Menu kocht und dabei eine Bilanz seines Lebens zieht. Dieser Mann war im Beruf erfolgreich, hatte Frau und Sohn, die er als Alleinverdiener versorgte. Was ihn stolz machte: „Dass Menschen von einem abhängen, ist sehr sinnstiftend“. Im Job wurde ihm eine jüngere Frau mit Migrationshintergrund vor die Nase gesetzt. Seine eigene Frau verließ ihn. So wie damals seine Mutter den Vater verlassen hatte. Obwohl er sich doch immer bemüht hat, alles richtig zu machen, fühlt er sich jetzt ins Abseits gedrängt und sucht nach Schuldigen, wofür sich Frauen, Schwule und Migranten geradezu anbieten, von denen er sich unbedingt abgrenzen will. Natürlich fehlt jegliche Rationalität in seiner Argumentation, aber das schert ihn nicht.
Auf der anderen Seite der Bühne haben wir ein Männerquartett (Mohamed Achour, Simon Kirsch, Thomas Müller, Jakob Leo Stark). Alle vier sind Bartträger, tragen karierte Hosen und schwarze Nerd-Brillen. Fast schüchtern treten sie auf die Bühne und nehmen in einem Stuhlkreis Platz. Eine Art Selbsthilfegruppe, deren Mitglieder sich über das ach so stark im Wandel begriffene Umfeld beklagen. Sie preisen zwar das Biogemüse aus dem Biomarkt. Max und Moritz, jammern aber über die Veränderungen in ihrem Viertel: „Zuerst kamen die kleinen Boutiquen mit Cremes für Schwangere. Dann kamen Friseursalons, dann kamen Cafés mit Wasserpfeifen, dann kamen die Presslufthämmer. Dann wird das Nachbarhaus eingerüstet. Die Straße wird verbreitert, damit BMW-Geländewagen passieren können. Das ist wegen der Sicherheit der Kinder. Damit die jungen Mütter, in Klammern dreiundvierzig, mit ihren hormonersatztherapiebedingten Zwillingen ins Café fahren können, vor denen die teuren Kinderwagen geparkt sind“. Die vier Männer wechseln sich beim Sprechen ab, sind aber grundsätzlich der gleichen Meinung. Sie kommen immer mehr in Fahrt, singen gemeinsam – Hand in Hand – das Lied „Nichts riskieren, um zu wachsen“ und steigern sich in polemische Aussagen über Homosexuelle, Künstler, Feministinnen, Ausländer und Veganer hinein. Auch sie müssen als Sündenböcke herhalten, wenn das eigene Haus nicht mehr bezahlbar ist und zu teuren Loft-Wohnungen oder einem Asylbewerberheim umgebaut wird. Es sind wütende, frustrierte Männer der Mittelschicht, die sich darüber beklagen, dass es zu voll sei auf der Welt, die sie benachteiligt: „Jeder Asylant hat mehr Rechte als ich“. Zwischendurch streicheln sich diese Männer, kitzeln sich zwischen den Zehen und stöhnen dabei wollüstig. Dann wieder hopsen sie, nur mit einer Unterhose bekleidet, leicht lächerlich über die Bühne.

Als Zuschauer hält man manchmal den Atem an ob der krassen sexistischen und rassistischen Äußerungen dieser überforderten, genervten Männer, die selbst vor einem Krieg nicht zurückschrecken würden: „Wir wollen endlich Ruhe schaffen. Und wenn es sein muss, dann mit Waffen“.
Sibylle Berg erklärt diese Einstellung ihrer Figuren als eine Reaktion auf die Reizüberflutung in der heutigen Welt, in der alles anstrengender wird: „Uns allen fällt es schwer, sich auf diese Welt einzustellen, so wie sie sich gerade beschleunigt“. Sie meint, dass viele Menschen angesichts von Globalisierung, Finanzkrisen und Flüchtlingsdramen Abwehrtendenzen entwickeln und so häufig der politisch Rechten zugeneigt sind.
Das unterstreicht der Regisseur, indem er die Akteure als frustrierte Mittelstandsbürger zeigt, als bedauernswerte Maulhelden.

Es ist ein Abend mit viel Witz, Sarkasmus, aber auch mit melancholischen Phasen. Getragen von einem ausgezeichneten Ensemble, das den klugen Text wunderbar umsetzt. Vieles kommt einem aus Presse und Internet schockierend bekannt vor.

Treffend als Fazit die letzten Worte des Protagonisten: „Ich bin wütend. Ich bin so wütend. Ich habe Angst“.