Toll gespielt
Die Bühne – ein Provisorium. Überall Elektrogroßgeräte, teilweise noch verpackt. In der Mitte ein Podest als Terrasse und Garten. Hinten eine Leinwand, auf die ab und zu Alltagsbilder projiziert werden. Lisbeth Coltof siedelt den wohl bekanntesten amerikanischen Klassiker im deutschen Jetzt und Hier an. Man spricht von Euros und Fußball, nicht von American Football und Dollars. Die Regisseurin will die inhaltliche Relevanz des Stoffes herausarbeiten, die – seinerzeit von Miller fast schon prophetisch konstatierte – Deformation der Arbeitswelt zeigen. Wie der Mensch immer stärker Funktion wird, Arbeitskraft, Gewinnschöpfer oder Verlustrisiko. Wie ein Willy Loman im Leben nichts anderes tut als Kredite zu bedienen und seinen Frust irgendwie zu sublimieren.
Coltof zeigt eine Rutschbahn und hat dafür Millers einst innovative, heute fast putzig wirkende Rückblendenstruktur mit großer handwerklicher Präzision in einen fugenlosen, organischen Ablauf gezwungen. Allerdings stellt sich gelegentlich doch unpassende Künstlichkeit hinein, besonders durch die Verstärkung der bei Miller vorgegebenen Klischeeisierung der Nebenfiguren. Da trägt der Chef Golfklamotten und Bruder Ben, das Phantasieideal, einen weißen Anzug.
Und es fehlt etwas. Durch die Verortung außerhalb der USA fehlt die Reibungsfläche, der Mythos, der zerstört werden könnte, der amerikanische Traum. Und dass Willy in seiner Familie genau das macht, was er im Berufsleben nicht ertragen kann, was niemand ertragen mag, nämlich seine Frau und seine Söhne auf Funktionen festlegt, sie über Lösungen definiert, das läuft einfach so mit.
Und doch macht die Aufführung Spaß. Denn Coltof kann hervorragend mit Schauspielern umgehen. Und Dortmund hat hervorragende Schauspieler. Andreas Becks Willy ist genau die Spur zu laut und zu schwammig, die zeigt, was 30 subalterne Arbeitsjahre aus einem Menschen machen können, wenn er nicht belohnt und wertgeschätzt wird. Peer Oscar Musinowski verkörpert Biff, Willy große, gescheiterte Hoffnung, sehr direkt und glaubhaft. Sebastian Graf zeichnet seinen älteren Bruder passgenau als Schnösel – und glaubhaft als Frauenheld. Uwe Rohbeck schließlich läuft als Bruder Ben einfach so unter leuchtendem Sternenhimmel durch die Aufführung, formt aber als fast fleischloser Nachbar Charly sehr rationell eine packende Charakterstudie, ein unabhängiges Gegenbild zu Willy Loman. Eine Sensation schließlich ist Carolin Wirths Linda. Sie gibt nicht die rollenübliche Studie loyaler Resignation. Sie flammt auf, ist ein wütend auskeilendes Opfertier und eine verzweifelt Liebende. Hier brodelt Millers Text.
Das täuscht aber nicht darüber hinweg, dass der Text stark gealtert zu sein scheint. Heute geht man direkter auf seinen Gegenstand los, im Theater, nimmt nicht so lange Anläufe, baut nicht so viele, ausleiernde Detailspannungen auf. Über dem berühmten Tod eines Handlungsreisenden, den große Schauspieler noch oft spielen werden, den das Publikum vielleicht auch noch lange mögen werden, liegt im Jahr 2014 – nicht nur in Dortmund! – ein Hauch von Geschwätzigkeit.