theater-51grad.com: Merry-Go-Round im Alte Feuerwache Köln

In drei Sprachen

Widerstreitende Eindrücke. Vier umwerfend gute Schauspieler, die genau wissen, was sie tun, und nie gebändigt wirken. Aber sehr viele Wörter. Auch noch ständig in drei Sprachen. Und ein poetisch getexteter, hochkomplexer, ins Mythologische greifender Rahmen, dessen Notwendigkeit man lange nicht einsehen will. Am Ende steht dann Klarheit, bestimmter Ausdruck, versteht man, ist freudig dabei. Aber der Weg ist sehr weit.

 Merry-Go-Round ist ein bilaterales Projekt. Künstler aus Deutschland und Bulgarien beschäftigen sich gemeinsam künstlerisch mit Migration. Das theater-51grad.com beschäftigt sich seit Jahren mit dem Thema. Der aktuelle Zugriff ist ungewöhnlich, vor allem, weil die rein existenziellen Dinge nicht im Vordergrund stehen. Grausamkeiten und Vertreibungen, Hunger und Krankheiten kommen nur am Rande vor. Es geht um bürgerliche Schicksale, um Deutsche, die in Bulgarien, um Bulgaren, die in Deutschland leben, um Umgang mit dem Fremden und mit der Vorstellung, selbst ein Fremder zu sein.

Zu Beginn steht eine Frau auf der leeren Bühne, in einem ungewöhnlichen roten Kleid, mit einer noch ungewöhnlicheren Frisur. Um sie herum raunt es auf Deutsch, Englisch und Bulgarisch. Sie ist Hel, die germanische Totengöttin. Dazu kommen Odin, der germanische Obergott, Orpheus und Cherona, eine Verweiblichung des weisen Kentauren Chiron aus der griechischen Mythologie. Ihr Dialog, ihre Bewegungsabläufe kreisen um Tod und Verständigung. Wie kann man einen Streit beilegen, der schon viele Folgen gehabt hat? Kann Versöhnung einen anderen Blick ermöglichen? Aufeinander, vielleicht gar auf die gemeinsame Vergangenheit?

Break. Alle ziehen sich um und setzen sich auf das titelgebende Karussell. Jeder ist jetzt eine Figur aus der oberen Bildungsschicht mit Migrationsbiographie. Sie erzählen, immer dreisprachig aufgefaltet, ihre Geschichten, die bis in die Nachkriegszeit zurück reichen. In Gesprächen wird der dunkle Punkt jeder der vier Biographien aufgedeckt. Hat wirklich jede einen? Leben wir hauptsächlich, um unsere Lügen zu verkleiden?

Am Ende wieder der Mythos. Jetzt liegen die Karten offen da. Jetzt sprechen auch erstmals die Bulgaren deutsch und die Deutschen bulgarisch. Mia Bancheva, Maria Faust, Oliver Schnelker und Vladislav Violinov tragen den Abend auf bewundernswert breiten Schultern. Letztlich kommt man gerne an, am Ende des Weges.

Dennoch müssen sich die Autorin Rosi Ulrich und Karin Frommhagen, ihre Co-Regisseurin, sich Fragen gefallen lassen. War es wirklich nötig, alles dreisprachig aufzubereiten? Bei mindestens einer Sprache wird jeder Zuschauer abschalten – und vielleicht dauerhaft wegdämmern. Lohnt der mythische Rahmen? Wie verständlich ist er heute? (Hier ist der Kritiker, der sich selbst als Mythenspezialist betrachtet und Hel nach dem ersten Halbsatz erkannt hat, und großen Spaß hat an derlei Meta-Charaden, leider draußen: er weiß es nicht). Hätte es keinen direkteren, theatralischeren, energetischeren Zugang gegeben?

In sich allerdings stimmt, noch einmal betont, alles, ist der spröde, pausenlos lange Abend von ungewöhnlicher Stringenz.