„Ich schlottere vor Langeweile“
Hedda Gabler, eine anspruchsvolle Generalstochter, heiratet den aufstrebenden Kulturwissenschaftler Jörgen Tesman, um ein sicheres bürgerliches Leben zu führen. Ibsen formulierte in einer Arbeitsnotiz, worum es in dem Drama gehen soll: „Das Stück soll vom Unerschwinglichen handeln, vom Streben und Trachten nach etwas, das der Konvention, dem Herkömmlichen im Bewusstsein widerspricht“.
Vom Unerschwinglichen zu handeln ist hier mit einem Begehren gleich zu setzen, das sich nicht erfüllen lässt. Schnell wird es Hedda klar, dass sie mit dem redlichen Tesman, dessen Karrierepläne plötzlich auf unsicheren Füßen zu stehen scheinen, den falschen Mann geheiratet hat. Der Mann für Abenteuer, für den Ausbruch aus bürgerlichen Konventionen, aus der ihr bedrückend erscheinenden Kleinlichkeit des Alltags ist er sicher nicht. Den Mut, aus dieser Spießerhölle, wie sie sie empfindet, auszubrechen, bringt sie selbst aber auch nicht auf. So schwankt sie zwischen lähmender Langeweile, Gereiztheit und Depression. Die einzigen Energien, die sie aus sich heraus mobilisieren kann, sind destruktiver Natur. Eine dramatische Zuspitzung erfährt die Ehe, als ihr einstiger enger Freund Eilert Lövborg nach langer Abwesenheit zurückkommt. Der geniale Wissenschaftler, früher ein maßloser Alkoholiker, war in frühen Jahren Heddas „Kamerad“. Über seine Erzählungen nahm sie teil an einem Leben, das selbst zu leben sie sich nicht traute. Inzwischen hat Eilert dank Thea Elvsteds Hilfe ein Aufsehen erregendes Buch verfasst, das ihn zum Konkurrenten Tesmans um die sicher geglaubte Professur macht. Finanziell käme alles ins Wanken. Jedoch schlimmer für Hedda ist, dass eine andere Frau die Position der „Kameradin“ bei Lövborg eingenommen hat. Konsequent beginnt sie, Lövborg und sein Werk zu zerstören („Einem anderen etwas wegnehmen, muss wunderbar sein“, schreibt Ibsen in seinen Arbeitsnotizen).
Richter Brack, ein Freund des Hauses, träumt von einer Dreierbeziehung. Er ist Hedda ebenbürtig und zugleich Verbündeter, ernstzunehmender Gegner, Mit- und Gegenspieler im destruktiven Spiel. Beide scheuen jede echte Bindung und Verpflichtung, beide spielen gern mit anderen Menschen und leben vom emotionalen Einsatz der anderen.
Karin Neuhäuser inszenierte Hedda Gabler am Kölner Schauspiel.
Die Bühne ist ein Halbrund. Die Wände des Salons sind dick gepolstert, in der Mitte schaut man durch eine Glastür in den Garten. Eine Art Labor für ein Menschenexperiment. Aus dem Radio erklingt ein bekanntes Lied aus den 60iger Jahren, „Stand by your man“. Weitere Schmusesongs aus dieser Zeit werden im Laufe des Abends angespielt wie „When a man loves a woman“. Schon ein Kontrastpunkt zu der in dem Drama skizzierten Beziehungshölle. Ein Herzballon hängt von der Decke, die Blumenbouquets von der Hochzeit lehnen – noch in Folie verpackt – nebeneinander an der Wand.
Guido Lambrecht ist ein sympathischer, grundanständiger, biederer Mann, dem man die tiefe Zuneigung zu seinen Tanten und die Liebe zu seiner Frau glaubt. Hedda (Yvon Jansen) ist ein blondes Gift im tief ausgeschnittenen dunkelroten Abendkleid. Von Anfang an wird dem Zuschauer klar, dass sie Macht über andere haben will, dass sie jede Geste und jedes Wort aus kühlem Kalkül einsetzt. Glatt, berechnend und intrigant sucht sie erfolgreich, die echte Zuneigung zwischen Eilert und Thea zu zerstören. Überzeugend wirkt sie in Momenten wie dem, wo sie Lövborgs Manuskript, sein „Kind“, verbrennt und dabei höhnisch wie ein Baby greint. Einige andere Inszenierungseinfälle sind jedoch nicht nachzuvollziehen. So hängt sich Hedda den Grabkranz für Tante Rina um den Hals. Manch Gefühlsausbruch kommt unerwartet und scheinbar unmotiviert. Die tiefe Sehnsucht nach Liebe und echtem Gefühl schimmert bei dieser Hedda nie durch. Niklas Kohrt spielt Brack, dandyhaft im doppelreihigen Goldknopfblazer und Seidenhalstuch, an jedem Finger ein Ring. Gern spielt er mit einer Peitsche und zuweilen wird sein Einfluss auf Hedda intensiv deutlich. Lövborg wird von Nikolaus Benda verkörpert, der typische (Klischee-)Künstler mit langen Haaren, Bart und wehendem Schal. Ihm glaubt man den Balanceakt zwischen drohendem Absturz in den Abgrund und dem Wunsch nach einem normalen Leben. Annika Schilling – schon vom Äußeren in ihrem biederen Kostüm und der Jungmädchenmähne ein Kontrast zu Heddas cooler Starattitude – gibt eine manchmal sehr weinerliche Thea und bleibt eher blass.
Insgesamt ein unterhaltsamer Abend, weil schnell und präzise auf den Punkt inszeniert. Die eigentliche psychologische Deutung der Protagonistin kommt jedoch zu kurz. Warum erschießt sie sich am Ende (wie es der Text vorgibt), um eine Minute später wie ein „Jack out oft he box“ an die Rampe zu eilen, um den Applaus entgegenzunehmen? Alles nur Theater?