Schrille Schräpen erzählen vom Glück
Papst Benedikt XVI. bezeichnete den Zölibat als Gnadengabe. Auf die Idee kann man kommen. Wahrscheinlich war der junge Ratzi viel im Kino, hat Wer hat Angst vor Virginia Woolf? geguckt oder, im knackigen Alter von 46 Jahren, Ingmar Bergmans Film Szenen einer Ehe aus dem Jahre 1973. Da war der Gedankensprung von der Ehe-Hölle zum Gnaden-Zölibat für den damaligen Regensburger Theologie-Professor nicht mehr weit. Claudia Bauers Inszenierung frei nach Bergmans Film wird sich der alte Herr nicht mehr anschauen. Schon in den ersten Bildern, als beim Ehepaar Johann und Marianne noch alles in Ordnung scheint, würde er sich bestätigt fühlen.
Denn die Johanns und Mariannes sind Comic-Figuren. Schrille Schräpen erzählen vom Glück.
Es ist die Fiktion, die alle Ehepaare der Außenwelt vorspielen - und an die zu glauben der Ehe manchmal sogar ein Leben lang Bestand verleiht. Daher also der Plural: die Johanns und die Mariannes. Acht Schauspieler hat Regisseurin Claudia Bauer für ihre Inszenierung aufgeboten, vier Damen und vier Herren, und alle spielen Johann und Marianne. Einerseits: weil ihr Schicksal exemplarisch ist für viele Ehen - in den schwedischen 1970ern anders als in den deutschen 2010ern, aber mit demselben Ausgang. Andererseits: weil sich dadurch verschiedene Facetten des Mann- oder Frau-Seins auf verschiedene Personen aufspalten lassen. Gegen Ende wechseln sogar die Geschlechter: Die eine oder andere der Damen wechselt in die Rolle des Johann, der eine oder andere der Männer spielt die Marianne, wobei sich vor allem Frank Genser durch besonderes komödiantisches Talent im Gender-Tausch auszeichnet. Neben Johann und Marianne kommen nur ein einziges Mal zwei weitere Personen vor: Bettina Lieder spielt die Katharina, Uwe Schmieder gibt den Peter - Johanns und Mariannes Gäste, die mit ihrem Ehekrieg das Drama ins Rollen bringen sprich: die Gespräche der beiden Protagonisten darüber, was eine gute Ehe ausmacht. Die sie längst nicht mehr führen, wie sich bald herausstellt. Vielleicht, sagt Johann schon zum Schluss der ersten Szene, vielleicht sollte man auch in der Ehe nur Fünf-Jahres-Verträge abschließen.
Im Szenenaufbau folgt Claudia Bauer dem vierzig Jahre alten Bergman-Film. Sie gliedert den Abend in sechs Kapitel, und so wie die Kapitelüberschriften in den Film eingeblendet werden, so erscheinen sie auch als Überschriften auf der Bühne. Die Handlung spielt zu großen Teilen in einem kleinbürgerlichen 60er-Jahre-Wohnimmer, das nur etwa die Hälfte des Bühnenraums ausfüllt und eine gewisse Enge der Beziehung symbolisiert. Kleinere Teile spielen auf dem Klo: Dort ist die Zeit für Bekenntnisse und Befindlichkeiten, die man dem Partner (noch) nicht mitteilen möchte, und diese werden vom stillen, abseits des Bühnenraums gelegenen Örtchen per Video übertragen. Gleiches gilt für einige spätere Szenen, die sich hinter der Wohnzimmerwand abspielen.
So etwas kennen wir von Castorf. Aber Claudia Bauer zitiert nicht nur den großen alten Hausbesetzer der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz - Bauer springt durch alle möglichen Theater-Stile unserer Zeit: Hauptsache, sie sind irgendwie aufgedreht und schrill. Zu Beginn wird chorisch gesprochen - eher wie bei Volker Lösch als wie bei Einar Schleef. Die Comic-Ästhetik, vor allem die zu Beginn furchtbar quetschige Stimme der Marianne, nervt. Soll sie das Lächerliche betonen, das Ehekräche meist an sich haben? Es folgen Szenen, in denen die Figuren Eselsköpfe tragen - die seltsame Liebesverwirrung aus dem Sommernachtstraum fällt einem ein. Die Eselsfiguren haben etwas Alptraumartiges, Bedrohliches - einerseits. Andererseits ist es schon eine ziemliche Eselei, wie sich die Frau ihrem Manne noch unterordnet, obwohl er ihr längst die Liebe zur 23jährigen Studentin Paula gestanden hat und im Begriff ist, die gemeinsame Wohnung zu verlassen. Klischees, natürlich - und doch noch heute oft so wahr. Alle wussten Bescheid: die Putzfrau, die Freunde - nur Marianne nicht. Widersinnig, dass die noch schmachtet: „I will always love you …“
Langsam wird der Comic trauriger. Trotz der schrillen Spielweise ist die Verunsicherung der Figuren mit Händen zu greifen; es scheint, als würden sich die Identitäten endgültig auflösen. Jetzt, kurz vor und in den ersten Szenen nach der Pause der ca. 170minütigen Aufführung, hat die Inszenierung ihre Höhepunkte. Der Mix zwischen Ernst und Ironie, zwischen Melancholie und Slapstick wird ein kleines bisschen ausgeglichener. Das Video von der (vorübergehenden) Rückkehr Johanns, das schmierige „Besame Mucho“, das Carlos Lobo zum gesitteten Abendessen von Johann und Marianne singt, das metaphorische Bild der hinter dem Tisch auftauchenden Friederike Tiefenbacher als eleganter Dame in Trauer - das hat Atmosphäre, das hat bei aller Aufgekratztheit und Ironie der Aufführung auch etwas Empathisches. „Die Einsamkeit bleibt. Sich etwas anderes einzureden, ist Illusion. Wenn man das akzeptiert hat, ist man endlich wirklich geborgen“, sagt Marianne. Der halbherzige Versuch einer Wiedervereinigung scheitert. Über die Ästhetik der Aufführung mag man streiten, über die grandiose musikalische Gestaltung durch den DJ Smoking Joe, ehemaliges Los Banditos Mitglied und Jenaer Theatermusiker, nicht: Wenn Julia Schubert nun ihr „Love hurts“ ins Mikro schmachtet, am Ende krass in die Verzweiflung kippend, ist das der emotionale Höhepunkt der Aufführung. „Love hurts, Love scars, Love wounds and marks any heart …“
Weiter geht’s - Claudia Bauer bedient sich neuer Ingredienzen aus dem Kessel Buntes der Theater-Stilmittel. Zunächst mit einem großartig choreografierten Verführungs-Tanz - mit einer dominanten Julia Schubert, einer lasziven Bettina Lieder, einer sportlichen Friederike Tiefenbacher, die - als Älteste der Schauspielerinnen - am offensivsten die sexuelle Komponente des Stückes ausstellt. Ein blutiges Gemetzel unter den halbnackten, wie bei Spencer Tunick oder manchem Choreografen der Tanztheater-Szene ineinander verknäuelten Körpern spielt noch einmal auf Zusammenhänge zwischen Gewalt und Begierde, auf die scheiternde Gleichung von Sex, Liebe und Treue an. Immer gebrochener wird die Aufführung nun; die Souffleuse taucht auf der Bühne auf, und einmal ist eine Anweisung der Technik im Zuschauerraum zu hören. Schließlich folgt ein harmonisches Ende.
Letztlich lässt die Aufführung den Rezensenten ein wenig ratlos zurück. Phantasie, Einfallsreichtum und Kreativität des Leitungs-Teams stehen außer Zweifel, aber sie erschlagen die Aufführung. Weniger wäre oft mehr gewesen. Wirkung entfaltet die Inszenierung vor allem dann, wenn die Regie und die Schauspieler trotz aller ironischen Brechungen Empathie mit ihren Figuren zulassen, während Albernheiten und Comic-Gekreisch der Inszenierungsabsicht eher abträglich erscheinen. Dennoch: Erneut zeigt Claudia Bauer, dass sie derzeit eine der spannendsten und kreativsten Dekonstrukteure im deutschsprachigen Theater ist.