„Mein Plan ist, denn ich kann’s nicht mehr ertragen, der ganzen Menschheit Fehde anzusagen.“
Einfach sagen, was man denkt. Jedem die Wahrheit ins Gesicht. Nicht taktieren, keine Höflichkeiten austauschen, sondern den Regungen seines Herzens folgen. Das ist die Forderung Alcestes an seine Mitmenschen. Er, die Hauptfigur in dieser Gesellschaftskomödie, die zugleich eine traurige Liebesgeschichte erzählt, fühlt sich zu absoluter Aufrichtigkeit verpflichtet. Er bewegt sich mit diesem Anspruch ausgerechnet in einer Gesellschaft, die ständig um sich selbst kreist und die ihren Marktwert und den ihrer Mitglieder fortlaufend neu verhandelt. Und dennoch bleibt Alceste Teil dieser Gesellschaft, gefangen in seiner grenzenlosen Liebe zu Célimène, einer charmanten und leichtlebigen Frau. So sehr sie ihn auch liebt, ist sie gleichwohl nicht bereit, auf das Spiel mit ihren zahlreichen Verehrern zu verzichten. Und Alceste vermag nicht, von ihr zu lassen, ebenso wenig wie er mit den Provokationen gegenüber der Gesellschaft aufzuhören imstande ist.
Moritz Sostmann inszenierte Molières Menschenfeind als seine dritte Arbeit (nach Der gute Mensch von Sezuan und Amerika) am Kölner Haus. Mehr als in diesen ersten Produktionen spielen die von Hagen Tilp gebauten Puppen eine Rolle, virtuos geführt von den gleichzeitig auch agierenden Puppenspielern (Johannes Benecke, Magda Lena Schlott, Philipp Plessmann, Franziska Rattay).
Der vorrangige Ton der Inszenierung ist laut, ruppig, klamaukig. Alceste (Benjamin Höppner spielt ihn mit viel Engagement) schminkt sich direkt zu Beginn zum alles besser wissenden Weißclown. Sein Diener Philinte (vielseitig gut: Philipp Plessmann) dagegen ist der dumme August mit roter Pappnase. Kostüme, Perücken und der große Kristallleuchter – an dem sich gut Klimmzüge machen lassen – verweisen auf die Entstehungszeit dieser Frühbarock-Komödie. Eindrucksvoll das Bühnenbild: ein überdimensional großer Tisch mit entsprechend großen Stühlen lässt an Gullivers Reisen denken, wenn man die zwei Menschlein – denn es sind nur zwei Schauspieler, Alceste und Philinte, die an diesem Abend auf der Bühne stehen – hinauf- und hinabklettern sieht. Ein sinnvoller Einfall, wirken doch die Darsteller in diesem Ambiente selbst wie Puppen. An der Rückwand der Bühne hängt ein riesiges fossilienhaftes Fischskelett, das aber weiter keine Rolle spielt und wohl nur dekorativen Charakter hat.
Warum wählte der Regisseur Puppen als Hauptpersonal dieser Komödie? Sostmann geht von der Feststellung aus, eine Komödie vermittle dem Zuschauer auf unterhaltsame Weise den Eindruck, etwas über das Leben, über die Menschen zu erfahren. Und er meint, „dass Puppen eben genau dort gut funktionieren, wo man etwas über Menschen erzählen will, denn Puppen liefern a priori immer schon den kleinen Abstand“. Gewiss, diese meisterhaft gebauten Puppen – Célimène als Mischung zwischen Barbiepuppe und blondem Societygirl, ihre Verehrer Acaste und Clitandre als verlebte Lebemänner aus der Kunstszene mit Sonnenbrillen – lassen den Zuschauer manchmal einen Augenblick fast vergessen, dass es nur Kunstwesen sind. Trotzdem lässt der an Gags, Ideen und lautstarken Aktionen reiche Abend Zwischentöne vermissen. Es ist ja nicht eine verlängerte Dinner for one-Show.
Nach einer spät angesetzten Pause liegt das Bühnenbild in Trümmern. Sogar einige Stühle aus der ersten Reihe finden sich verstreut auf der Spielfläche. Alceste wütet mit Axt und Benzinkanister, HASS steht auf seiner Stirn.
Was ist der Sinn dieser zum Teil aggressiv-heftigen Interpretation des Menschenfeindes? Molières Komödie hätte solch deftiger Inszenierungseinfälle nicht bedurft.