Übrigens …

Der Meister und Margarita im Aachen, Theater

Ein absurdes Lächeln

Eine Überraschung. Bernadette Sonnenbichlers letzte Aachener Arbeiten, Das Himbeerreich und Der gute Mensch von Sezuan überwältigten durch Dynamik und schlagende gesellschaftliche Aktualität. Auch Der Meister und Margarita wird schnörkellos erzählt und im weitgehend leeren Raum angerichtet, in den ungewöhnliche Bilder seltsam zwanglose Widerhaken hinein setzen. Aber ansonsten ist alles anders.

Sonnenbichler bringt Bulgakows absurde Roman-Monstrosität ins Tanzen. Die Bilder und Szenen verschwimmen ineinander. Anders als im Roman wird kaum zwischen realer und fantastischer Ebene unterschieden. Alles rinnt in eins und formt dennoch einen tragfähigen Bogen. Die Regisseurin vertraut der Musik. Die vierköpfige Band um Malcolm Kemp hat eine Art nostalgischen Russen-Jazz erfunden und gibt dem Abend Rhythmus und sinnlichen Rahmen. Und die Regisseurin vertraut dem Wort, lässt einen Großteil des Pilatus-Romans der Titelfigur gar ‚nur‘ als Hörspiel erklingen. Dazu spürt man ihre langjährige Vertrautheit mit dem Aachener Ensemble. Da gibt Karsten Meyer den Teufel als Boulevard-Dämon mit geradezu schnöseliger Brillanz – und dennoch mit hohen Sympathiewerten beim Publikum. Da verschwindet Bettina Scheuritzel fast hinter der Maske des lebensgroßen Katers, springt aber wie ein Schachtelteufel momentweise aus der Rolle. Da gibt Tim Knapper eine genaue Studie eines seiner Arroganz beraubten Intellektuellen. Und Rainer Krause bietet treffsicher gleich eine ganze Galerie von fein voneinander geschiedenen intellektuellen Spießern feil. Und…und…und…

Natürlich lässt sich Bulgakows Handlung um den Teufel und seine Adepten, die das innerlich kaputte Moskau zerstören, um die depraviert dargestellte „russische Seele“ und um eine kleine, große Liebesgeschichte kaum stringent vermitteln. Sonnenbichler sucht sich einfach Erzählfäden, verzwirnt sie und gibt sie wieder frei. Aber wie gesagt, alles fügt sich. Und es stellt sich, ganz zwanglos, Aktualität her. Dominanz durch Bürokratie; Identitätskrisen durch zerstörte Großkotzigkeit; Unsinn machen, um einfach den Betrieb am Laufen zu halten; Angst vor dem Fremden; Den, der wirklich seiner Vision folgt, als weltfremd abqualifizieren. Alle diese Motive kennen wir. Sie bewegen uns. Das eine mehr, das andere weniger. Sonnenbichler präpariert sie heraus aus dem Text und stellt sie hin. Mit einem Lächeln. Ohne Appell. Und Tanja Kramberger findet ein schönes Distanzierungsmittel – nostalgisch-elegant-verschrobene Schwarz-Weiß-Kostüme. Und plötzlich ist Bulgakow ganz nah bei Kafka, dem ja mit Der Prozess die Spielzeiteröffnungspremiere des Schauspiels gewidmet war. Nur humanistischer, blutvoller. Und eben mit einem kleinen Lächeln.