Ein Krimi der anderen Art
Vor kurzem lief im Fernsehen noch einmal der Film Es geschah am hellichten Tag, eine Schweizer Produktion von 1958 (Regie: Ladislao Vajda). Heinz Rühmann spielt hier als Kommissar Matthäi überzeugend eine seiner ernsten Rollen. Ein Vergleich mit den eher heiteren Pater-Brown-Streifen (Das schwarze Schaf, Er kann’s nicht lassen - 1960/62) wäre also unstatthaft. Das Drehbuch des 58er Films stammt von Friedrich Dürrenmatt. Er soll mit ihm zufrieden, aber nicht wirklich begeistert gewesen sein. An der leichten Verstimmung darüber, dass man sich für einen anderen Titel als für den von ihm vorgeschlagenen entschied, wird’s aber kaum gelegen haben. Und die psychologisch vielschichtige, kriminalistisch aber geradlinige Handlung stammt ja nun mal aus seiner Feder.
Aus welchem Grund auch immer: Dürrenmatt wandte sich dem Stoff danach nochmals zu, allerdings mit gänzlich neuer Akzentsetzung. Während Matthäi/Rühmann den Mordfall an der kleinen Gritli Moser aufklärt, scheitert sein Alter Ego in der Erzählung damit. Obwohl von seinem Schweizer Amt ins Ausland delegiert, bleibt er trotzig zurück, weil ihn das Geschehen ganz persönlich packt und er den trauernden Eltern Aufklärung versprochen hat. Als der dank eines Mädchen-„Köders“ der Identifizierung des Täters ganz nahe zu sein scheint, kommt dieser bei einem Autounfall ums Leben. Matthäi, schon längst nicht mehr ganz Herr seiner Sinne, verfällt nun völlig dem Wahn.
Der Untertitel von Dürrenmatts Erzählung, Requiem auf den Kriminalroman, deutet ironische Absichten an, doch kann man die gegenüber dem Film radikal veränderte Handlung auch als eine Tragödie deuten. Und so inszeniert es auch Theaterchef Heinz Simon Keller in eigener Fassung, der offenbar siebenten Dramatisierung seit der von Armin Petras am Hamburger Thalia Theater (2005). Keller betont sein Konzept durch eine Dreiergruppe von Mädchen, welche dem Chor der griechischen Tragödie nachempfunden scheint. Sie ist auf der Bühne durchgehend anwesend wie die anderen Darsteller auch. Dieses verfremdende Präsenzprinzip hat gerade auch das städtische Schauspiel bei Hiob (nach Joseph Roth, ebenfalls eine Romanadaption) praktiziert. Bei Keller wirkt das Verfahren mitunter zwar etwas „gewollt“, führt aber auch (vor einem suggestiven Waldprospekt spielend) zu starker atmosphärischer Wirkung, unterstützt von dezent grübelnder Musik (Frank Schulte) und (freilich nicht ganz deutbaren) Filmprojektionen (Marie-Claire Delarber). Die zunehmende Verwirrrung Matthäis bekommt damit einen wirkungsvoll düsteren Rahmen.
Vor allem die finalen Szenen geben Gerhard Roiß Gelegenheit, sich in die Schizophrenie der Figur hineinzusteigern oder besser: in sie hineinzudämmern. Die Aufführung endet nämlich so leise, dass das Publikum geraume Zeit benötigt, um sich (mit viel Beifall) von dem Gesehenen zu lösen. Ein starker Partner von Roiß ist - trotz der nicht gerade vielschichtigen Rolle als Polizeikollege Henzi - Jonas Müller-Liljeström. Auch das “Erinnyen“-Trio überzeugt trotz mancher Hektik (Rosana Cleve, Lena Gudrian, Raphaela Kiczka von der Keller-Schule). Frank Casali (ebenfalls in der Ausbildung) ist ein sympathischer Junge, aber keine prägende Besetzung für den mordverdächtigen Händler von Gunten. Die etwa zehnjährige Trixi Janson (Mädchen) beweist eine erstaunliche Bühnenbegabung.