Aktuell gebliebenes Thema
Das Gesamturteil gleich zu Beginn: tolles Stück, superbe Inszenierung, exquisite Schauspieler. In der Premiere außerdem zwei Szenen, wo die gebannte Stille im Publikum förmlich mit Händen zu greifen war. Das wird sich in den Folgeaufführungen fraglos wiederholen.
Einsame Menschen wurde 1891 am Berliner Residenz-Theater durch die Freie Bühne uraufgeführt, Die gleiche Truppe hatte ein Jahr zuvor Das Friedensfest aus der Taufe gehoben. Auch Einsame Menschen schildert eine „Familienkatastrophe“. Im Bauturm verzichtet Regisseurin Catharina Fillers auf den Originalschluss (Selbstmord des männlichen Protagonisten), ein überzeugender Eingriff. Bei ihr bleibt der nicht zuletzt mimisch ungemein wandlungsfähige Sascha Tschorn bewegungslos in der Bühnenmitte stehen. In seinem Gesicht ist eine verzweifelte Zukunft ablesbar.
Details bei Einsame Menschen mögen zeitgebunden sein, aber die geschilderte Tragödie wirkt in keinem Moment unzeitgemäß. Mit dem Choral „Großer Gott wir loben dich“ und den liebevoll sabbernden Stimmen der Eltern aus dem Off (sie treten auch später nicht in persona auf) schafft Catharina Fillers sofort eine Atmosphäre von bedrohlich beengender Heimeligkeit. Ausstatterin Fatima Sonntag zeigt, was eine über die Bühne fließende weiße Stoffbahn auszudrücken imstande ist. Ein Knäuel wird zum gerade geborenen Kind von Johannes Vockerat und seiner Frau Käthe (in der Aufführung wird sie vom Gatten immer verniedlichend mit Käthchen angeredet), als „Rutschbahn“ dient sie u.a. dazu, emotionale Euphorien von Johannes zu visualisieren. Kontrast bietet ein durchscheinendes „Garten“häuschen, dumpfe Heimstatt von unterdrückten, unausgelebten Sehnsüchten.
Hauptmann hat sein Drama über die Isolation von Menschen autobiografisch akzentuiert. Der in seine wissenschaftlichen Aktivitäten verbohrte Johannes ist das Ebenbild von Bruder Carl, Hausmütterchen Käthe gleicht seiner eigenen Frau Marie (von der er sich nach kurzer Ehe wieder trennte), und auch für den gemeinsamen Freund Braun gibt es Vorbilder. Dies zu wissen, ist für die Wirkung des Stückes nicht weiter von Belang. Dass manche Äußerungen den Geist Friedrich Nietzsches atmen, akzentuiert soziale Gegebenheiten zwar, ist aber gleichfalls keine Voraussetzung zum Verständnis des Stückes. Die in ihm minutiös geschilderten familiären Gegebenheiten und Konflikte sind überzeitlich.
Es wundert also nicht, dass Einsame Menschen in letzter Zeit verstärktes Interesse gefunden hat. Zuletzt, nämlich 2014, stand das Drama in Bochum auf dem Spielplan. Das Bauturm-Theater ergänzt die Aufführungsstatistik mit einer - wie anfangs bereits gesagt - bestechenden, konzentrierten Inszenierung, welche starke Situationen schafft, ohne zu äußerlichem Aktionismus greifen zu müssen. Dafür betont sie das Klaustrophobische der Situationen, denn fast immer sind alle Akteure anwesend, auch wenn es der Text nicht wirklich fordert.
Besonders stark berühren die Szenen, in denen Käthe ihre Unscheinbarkeit abstreift und gegen den mit verbalen Spitzen gegen sie operierenden Gatten aufbegehrt. Die simple Ankündigung eines Briefes gerät zu einem regelrechten Körperclinch. Stark! Nika Wanderer spielt die Verletztheit Käthes beklemmend aus. Sascha Tschorn lässt neben der Egozentrik von Johannes auch dessen Verzweiflung darüber spüren, dass er sich in seiner Ehe nicht zu verwirklichen imstande ist. Für Anna Mahr, welche ihm in ihrer geistigen Gleichgestimmtheit vorübergehend zur Licht- und Leitfigur wird, verfügt Emilia Haag freilich nicht ganz über das angemessene Rollenflair. Die Ereignishaftigkeit des Abends (zu welcher auch Klaus Ebert als Braun beiträgt) wird dadurch aber nicht gefährdet.