Von der Lust an der Macht über Andere
692 - puritanisch strenge Sitten herrschen in der amerikanischen Kleinstadt Salem in Neuengland. Als ein paar junge Mädchen nachts beim Nackttanzen im Wald von Pastor Parris, einem fanatischen Prediger gegen das Böse, erwischt werden, geben sie aus Angst vor Strafe an, sie seien vom Teufel besessen. Auch Parris‘ Tochter Betty und seine Nichte Abigail sind dabei. Nach und nach bezichtigen die Mädchen die halbe Stadt, denunzieren ungeliebte Gemeindemitglieder als Hexen oder Teufelsanbeter. Bei den folgenden Hexenprozessen werden so unter dem Deckmantel der Wahrheitssuche alte Rechnungen beglichen. Der Hexenjäger Hale wird gerufen, um der Sache auf den Grund zu gehen. Der Tugendterror setzt aber auch Kräfte frei: Menschen reifen zu innerem Widerstand gegen den totalitären Anspruch des Gerichts.
Arthur Millers Drama beruht auf historisch belegten Vorgängen, die sich vor ca. 300 Jahren in Salem abspielten. Anlass für das Stück aber waren Senator McCarthys Gesinnungsschnüffelei und Kommunistenhatz in den 50er Jahren in Amerika und die stalinistischen Schauprozesse Anfang der 50er Jahre. Für unsere Gegenwart bleibt Hexenjagd“aktuell, weil es die Lust an der Gewalt über andere Menschen und ideologischen Fanatismus thematisiert. Miller bezeichnet sein Drama als politisches Stück in folgendem Sinne: „Es bezieht sich im Grunde auf politischen Verfolgungswahn, ganz gleich, welche politische Seite diese Machtquelle sich zunutze macht“.
Daniela Löffner inszenierte dieses Lehrstück im großen Haus. Wenn man den Zuschauerraum betritt, wird man mit einem modernen Gerichtssaal konfrontiert, der sich über die Länge der Bühne hinzieht. Laptops, Mikrophone, Wasserflaschen, alles steht bereit. Die Richter, der Gerichtsdiener, die Angeklagten und die Zeugen kommen herein, Namensschilder weisen ihnen ihre Plätze zu. Anke Zillich als oberste Richterin Danforth eröffnet die Sitzung der 13. Strafkammer. Sie personifiziert eindringlich den selbstgerechten Glauben an die Unfehlbarkeit des Gerichtes. Oberhalb dieser Gerichtskulisse befindet sich eine kleinere Guckkastenbühne, in der die Szenen gespielt werden, die die Zeugenaussagen bebildern. Spielorte sind das Wohnzimmer von Pfarrer Parris oder der Garten des Ehepaars Proctor. Die Richter (Michael Schütz spielt den trockenen Paragraphenreiter Hawthorne) drehen dabei dem Publikum den Rücken zu und verfolgen diese Spielszenen.
Löffner kann sich auf exzellente Schauspieler verlassen. Kristina Peters glänzt als Abigail: berechnend, egozentrisch und rachsüchtig dem früheren Liebhaber Proctor gegenüber. Friederike Becht lässt das Theaterpublikum Marry Warrens Sinneswandel – soll sie die Wahrheit sagen oder sich dem Druck der anderen Mädchen fügen – intensiv miterleben. Jürgen Hartmann gibt Proctor überzeugend als einen Mann, der seine Frau liebt, deshalb letztlich den Ehebruch vor Gericht eingesteht und damit seinen guten Namen verspielt. Zweifellos mit im Zentrum des Abends Felix Rech als Hexenjäger Hale. Beeindruckend sein zunächst sicheres Auftreten, glaubt er doch, der anstehende Prozess diene in der Tat der Wahrheitsfindung. Dann nimmt jedoch seine Verunsicherung ob der zahlreichen gehässigen Beschuldigungen, die offensichtlich Unschuldige in den Tod stürzen, zu: „Das sind seltsame Zeiten. Man kann sich nicht mehr sicher sein“.
Es ist ein recht langer Abend (dreieinhalb Stunden), der über manche Ungereimtheit stolpert. Warum mutiert Tituba, das schwarze Hausmädchen aus der Karibik, zu einem jungen Muslim, der seine Gebete gen Mekka auf Arabisch und Deutsch zu sprechen weiß? Soll es da einen Bezug zum islamistischen Terror von heute geben? Kaum nachzuvollziehen. Was bringt der Rahmen einer modernen Gerichtsverhandlung, wenn Millers exzellent konstruiertes Drama gespielt wird, das einen 300 Jahre alten Stoff behandelt? Die aktuellen Bezüge, dass so ein Verhalten – wie manipulierbar sind Menschen, warum klagen sie andere aus Bosheit und Wichtigtuerei an – nach wie vor vorkommt, hätten des modernen Bühnenbildes und der Kostüme von heute nicht bedurft. Wissen wir doch, dass es immer Menschen geben wird, die als Denunzianten und Mitläufer plötzlich etwas mitbestimmen wollen.