Übrigens …

Schwimmen lernen im Theater Duisburg

Liebesleid und Orientierungssuche

Gleich zu Beginn erzählt der Schauspieler Dimitrij Schaad, der den Pep spielt, eine Geschichte von einem einsamen Baum in der nigrischen Wüste. Im Umkreis von dreihundert Kilometern ist nichts als Ödland, und mitten drin steht dieser Baum. Auch der LKW-Fahrer, der die Wüste durchquert, kann das kaum glauben. Er hält einfach mal drauf.

Es ist eine Geschichte, die, wie Pep sagt, davon handelt, wie man etwas tötet, das funktioniert. Die Geschichte steht scheinbar ziemlich isoliert in Marianna Salzmanns kleinem Versuch über die Liebe. Aber die drei jungen Menschen dieses Stückes sind selbst einsame Bäume in einer Wüste; sie suchen nach Liebe und Glück. Doch kaum gibt es Hoffnung auf ein Funktionieren, macht einer die Liebe kaputt. Pep liebt Feli; kaum sind sie fünf Wochen zusammen, heiraten sie. Doch Feli (Anastasia Gubareva) erträgt das Leben zwischen Topfblumen, Kaffeekränzchen und dem Traum von der tiefergelegten PS-Schleuder nicht; auf Eifersucht folgt „Pause von Dir“, folgt Trennung. Denn Feli hat endlich jemanden gefunden, mit dem sie sich eine Dauerbeziehung vorstellen kann: die von Marina Frenk verkörperte Lil. Hatte Pep in Feli erstmals eine Frau getroffen, die er mehr liebte als sie ihn, ist Feli nun selbst einer Frau begegnet, in die sie mehr verliebt ist als umgekehrt. Denn Lil gibt sich keinen Illusionen hin, Sie, die Lesbe, glaubt nicht an das Funktionieren einer lesbischen Liebe. Sie gehen zusammen in Lils Heimat an das Schwarze Meer, wo Vladimir Putin herrscht und das Ausleben einer lesbischen Beziehung trotz aller (letztendlich vergeblicher) Toleranz-Bemühungen von Lils Eltern und Freunden noch viel schwieriger ist. Feli klammert, Lil schickt sie fort.

Soweit, so tausendmal gesehen. Mit der gleichgeschlechtlichen Komponente vielleicht auch nur fünfzigmal. Doch so, wie es uns das Gorki-Theater bei seinem Gastspiel in Duisburg vorführt, nimmt uns das Stück gefangen. „Ein Lovesong“, lautet der Untertitel von Marianna Salzmanns Text. Man könnte sich das als einen langen Blues vorstellen. Doch Hakan Sava? Micans Inszenierung besteht aus unzähligen unterschiedlichen Stimmungs-Fragmenten. Tatsächlich ist es eine ausgesprochen musikalische Aufführung; immer wieder wird der Text von wunderbaren, zum Teil von Marina Frenk und dem Musiker Enik (im wahren Leben auch Dominik Schäfer geheißen) eigens für die Produktion geschriebenen Songs unterbrochen, wobei die drei Schauspieler mit großartigen Singstimmen glänzen. Ungeheuer melodisch interpretiert vor allem Marina Frenk ihre englisch- und russischsprachigen Lieder - mit der Band Kapelsky war sie im Jahre 2014 Bundessiegerin beim creole Weltmusik-Wettbewerb. Anastasia Gubareva sorgt mit einer witzig-gekonnten Bob Dylan Parodie für einen Lacher. Immer wieder aber wird die Melodik gebrochen: durch spitze Schreie, durch hartes Skandieren, durch plötzliche Heuler oder Disharmonien. Auch an den Instrumenten ist Marina Frenk der Star: Sie geht problemlos als professionelle Pianistin durch. Dimitrij Schaad überzeugt an der Gitarre, Gubareva an den Drums, was dann auch mal zum Trio Infernale aus Vladimir Putin, Angela Merkel und Helene Fischer hochstilisiert wird.  

Mal rotzig, mal romantisch, mal komödiantisch, mal aggressiv ist auch der verbale Teil der Aufführung, der die Geschichte in kurzen Szenen und mit permanenten Stimmungswechseln erzählt. Salzmann hat realistischer Jugendsprache markante Sätze und Sentenzen untergeschoben, ein paar witzige Pointen mit herzergreifenden, aber niemals kitschigen Liebeserklärungen und grimmigen, gereizten Reaktionen gemischt, die nur unzureichend die Verzweiflung der Figuren verdecken. Schaad und Gubareva übernehmen in kurzen Spielszenen auch die Rollen der Eltern und der Freunde in Lils Heimat: großartige Spießer-Karikaturen, wobei insbesondere Dimitrij Schaad schauspielerische Transgender-Kabinettstückchen abliefert.

„Heimat“ heißt das Motto des diesjährigen Duisburger „Akzente“-Festivals, anlässlich dessen die Aufführung des Gorki-Theaters gezeigt wurde. Tatsächlich sind die drei jungen Menschen - insbesondere die beiden Frauen - Heimatsuchende. Feli sucht die Heimat in der Liebe, und rastlos ist sie bereit, ihr Land zu verlassen und ihr Glück am Schwarzen Meer in der Heimat Lils zu suchen. Doch mag das Meer, das in Benjamin Kriegs Video-Installation  durchaus anheimelnd auf und ab wogt, auch ein Sehnsuchtsort sein: Die vergeblich auf der Suche nach Orientierung in der Liebe durch das Leben treibende Feli wird auch mit Hilfe von Lil weder festen Boden unter den Füßen bekommen noch schwimmen lernen. Lil dagegen wirkt desillusioniert. Ein auflehnender, auch aufrührerischer Lebensentwurf steht gegen langweiliges Spießertum; ihre Mitte haben die Menschen in Salzmanns Stück noch nicht gefunden. Und so bringt ein kurzer Dialog zwischen Marina Frenk und Dimitrij Schaad die Sache auf den Punkt. „Ich will nach Hause“, sagt Frenks Lil, als sie längst realisiert hat, dass ihr auch in ihrer alten Heimat am Schwarzen Meer das Glück nicht winkt. „Und das ist wo?“, fragt Schaad. Es ist die entscheidende Frage, die die die ganze Verlorenheit, die geographische, aber vor allem die emotionale Heimatlosigkeit dieser Figuren aufdeckt.