„Heimat ist das, was gesprochen wird.“ (Herta Müller)
Wolken.Heim entstand 1988 als Auftragsarbeit für das Theater Bonn. Es ist kein Theaterstück im traditionellen Sinn mit Akten oder Szenen oder Rollen. Nein, es ist eine Kollage verschiedenster Zitate deutscher Geistesgrößen, u.a. von Fichte, Hölderlin, Kleist und Heidegger. In einer Textfläche, wie sie typisch für Jelinek ist, äußert sich immer wieder ein „Wir“: „wir sind wir“, „vernehmlich sind wir“, „wir Wanderer“, „wir sind bei uns daheim“. Es beschwört eine Gemeinschaft der Deutschen, was aber zugleich bedeutet, dass das Unbekannte, das Fremde außen vor ist. Jelineks Identitäts- und Heimatmonolog sieht den Heimatbegriff kritisch, den deutschen Idealismus in Verbindung mit dem Nationalsozialismus. Sind das Verwirrungen des an sich reinen Geistes oder ist jeglicher Idealismus des Geistes selbst schon eine Verwirrung? Typische Jelinek-Formulierungen wie „Wer ist denn schon zu Hause bei sich, wer ist denn schon sein eigener Herr? Wer es wäre, der würde sofort wieder von sich wegstreben, kaum, dass er sich kennengelernt hätte“ prägen auch Wolken.Heim in dem Sinne, dass sie im heimatlichen Boden nach der Tradition des „Wir“ sucht und dabei die verwendeten Zitate verfremdet. So ergibt sich aus dem Ungeist der Vergangenheit eine Traditionslinie von der idealistischen Philosophie und romantischen Literatur zu den totalitären Auswüchsen des 20. Jahrhunderts.
Bernd Freytag, vormals Chorleiter bei Schleef, dann bei Lösch, und der Komponist Mark Polscher sprechen vom „deutschen Trauma“, zeigt doch Wolken.Heim politische Phänomene auf, die bis heute gültig sind. Sie arbeiten äußerst effizient und erfolgreich mit einem Chor, bestehend aus sechs Frauen und sechs Männern, die alle Laiendarsteller sind. Drei Schauspieler und eine Schauspielerin sind die Solisten, die Momentaufnahmen in kurzen zwischengestreuten Szenen realisieren. So Jan Pröhl im Jägeroutfit mit Jagdhorn, der sich über die „Neger“ auslässt oder eine Rede ans Vaterland hält. Immer wieder beeindruckend Stefan Diekmann – sehr facettenreich in Mimik, Gestik und Sprache – in unterschiedlichen Rollen, in denen er den Sprachgestus des Dritten Reichs auferstehen lässt. Silvia Weiskopf und Sven Seeburg ergänzen das kleine Ensemble. Der Chor aber spielt die Hauptrolle an diesem intensiven Abend. Kaum zu glauben, zu welchen darstellerischen und sprachlichen Leistungen das Regieduo diese Laienschar motivieren konnte. Dabei ist es relativ unwichtig, dass die Choristen die eine oder andere Theatererfahrung bereits gemacht haben.
Mal sprechen sie gemeinsam mit den Schauspielern, dann wechseln sich Männer und Frauen ab, sie singen Volkslieder oder gestalten spielerische Szenen mit gekonnter Choreografie. Die Palette der Darstellungs- bzw. Sprechweisen des Chores scheint unbegrenzt. Immer jedoch stellen seine Mitglieder eine fremdenfeindliche Gesellschaft dar, für die nur das eingeschworene „Wir“, die Gemeinschaft der Deutschen, zählt.
Das relativ karge Bühnenbild, ein Halbrund mit 12 Nischen, das an die Neue Wache in Berlin erinnert, unterstützt die Konzentration auf die Sprache. Zu Beginn sitzen die Choristen in diesen Nischen, nur schemenhaft zu erkennen. Dann zündet jeder eine Kerze an, der Abend beginnt.
Eine prägnante, einfühlsame, sehenswerte Produktion.