Und Pippa tanzt im Köln, Schauspiel

Schwieriges Stück

Das dramatische Oeuvre Gerhart Hauptmanns gibt sich ziemlich weitläufig, Genres und Stile wechseln. Am vertrautesten ist einem der Dichter als Vertreter des Naturalismus geblieben, als solcher in der Ära von Karin Beier mit den Ratten zu erleben. Am Bauturm-Theater hat man vor kurzem das Familiendrama Einsame Menschen erfolgreich ausgegraben (siehe Rezension 21.2.). Die Städtischen Bühnen folgen jetzt in der Halle Kalk, Spielstätte wohl nur noch auf Zeit, mit Und Pippa tanzt. Dieses „Glashüttenmärchen“ gehört neben Hanneles Himmelfahrt und Die versunkene Glocke zu den symbolischen Stoffen Hautmanns, welche ihm gleichfalls am Herzen lagen, wobei Pippa überdies die Abarbeitung einer krisenhaften Lebensphase (Liebe zur jungen Schauspielerin Ida Orloff) bedeutet.

 „Keuschheit“ und „Unverdorbenheit“, welche der Autor in diesem Mädchen verkörpert sah, entsprachen freilich nicht ganz der Realität. Dass „Hurenhaus und Heiligenschein“ nahe beieinander liegen können, wurde ihm erst später bewusst. Pippa ist eine idealisierte Gestalt und gleichzeitig „Projektionsfläche für Männer“, so Schauspieler Martin Reinke. Sie, die Tochter des Glastechnikers Tagliazoni, tanzt in der Schenke eines Riesengebirgsdorfes vor den Dörflern, einzige Abwechslung in dieser schneebedeckten Einsamkeit. Pippas Schönheit und kindlich-erotische Ausstrahlung wecken zwangsläufig Begehrlichkeiten, auch bei dem alten Huhn, einem ehemaligen Glasbläser. Als eines Abends unter den Gasthausbesuchern ein Streit ausbricht, bei welchem Tagliazoni umkommt, greift er sich in dem Durcheinander das Mädchen und schleppt es in seine abgelegene Hütte. Kontrastfigur zu diesem kraftrohen Mann ist der Wanderbursche Michael Hellriegel, Träumer und „Symbol für alles, was in der deutschen Volksseele lebt“, wie es Hauptmann einmal reichlich schwülstig ausdrückte. Zu diesem Personarium gesellt sich (neben dem Glashüttendirektor) noch Wann, eine „mythische Gestalt“.

Die etwas wüste Geschichte mit ihrer rätselhaft symbolischen Aura dürfte kaum ironiebeflügelt geschrieben worden sein, wie in einer „Mosaik“-Rezension des WDR behauptet, sondern aus einer tiefernsten selbsttherapeutischen Motivation heraus. Ist das heute, gut hundert Jahre nach der Berliner Uraufführung, aber noch spielbar, war die Inszenierung von Moritz Sostmann Auftrag oder persönlicher Wunsch?

Der Regisseur fügt dem Darstellerensemble wie von bei Guter Mensch von Sezuan, Amerika und Menschenfeind Puppen hinzu. Der etwas skurrile Philosoph Wann profitiert davon (auch durch Philipp Plessmanns leicht schnarrende Stimme). Die von Hauptmann intendierte Ausstrahlung Pippas ist im Puppengesicht freilich nicht zu finden, da hält man sich besser an die reale Darstellerin Magda Lena Schlott. Sie ist wie ein Pierrot kostümiert und führt als solcher durch das Geschehen, incl. Ansage der Akte. Klemens Kühn hat die Kalker Halle in einen Variétésaal verwandelt. Da passt der urig kostümierte und agierende Jakob Leo Stark (Huhn) ebenso hinein wie Martin Reinke, der auf Skiern über den Parkettfußboden schlurft. Einmal wird die Aufführung unterbrochen, Gelegenheit für die Pippa-Darstellerin und das Publikum, sich am Ausschank des Hauses zu bedienen.

Das mag für unterhaltsam und witzig gehalten werden, und so war wohl auch der lautstarke Schlussbeifall in der Premiere zu deuten. Die kabarettistische „Einlage“ von Johannes Benecke als stummer Wann-Diener Jonathan ist tatsächlich eine Klasse für sich, und Yuri Englerts netter Michael gefällt. Aber warum und wozu Hauptmann sein Stück schrieb, erfährt der Zuschauer nicht.