Geld regiert die Gefühle
1969 wurde Horváths bitterböse Komödie Zur schönen Aussicht in Graz uraufgeführt.
Die Handlung spielt in dem heruntergekommenen Hotel „Zur schönen Aussicht“, dessen Name jedoch mehr verspricht, als er zu halten vermag. Vorbild für diesen Ort der Hoffnungslosigkeit – der zwar eine schöne Aussicht in die Landschaft, jedoch keine schöne Aussicht in die Zukunft hat – war eine windige Pension in Murnau, in der sich die Familie Horvárth mehrfach zur Sommerfrische aufhielt. Eine Art Geheimtipp für verkrachte Existenzen, eine Tauchstation mit Gebirgspanorama.
Zum Personal: der Hotelbesitzer Strasser, ein gescheiterter Schauspieler, und sein Kellner Max, ein ehemaliger Designer, die sich als Autoschieber erfolglos aus ihrer finanziellen Misere zu retten versucht haben, bilden mit dem wegen Totschlags vorbestraften Chauffeur Karl ein zwielichtiges, korruptes Kleeblatt, das bis zur Selbstverleugnung abhängig ist von dem einzig zahlenden Gast des Hotels, Ada von Stetten. Sie erkauft sich mit ihrem Geld die drei Männer und tobt in diesen Beziehungen ihre Machtgelüste aus. In die eingefahrenen Bahnen dieses Quartetts dringt der nationalsozialistische Sektvertreter Müller ein, der alte Schulden Strassers eintreiben will. Adas Zwillingsbruder Emanuel von Stetten will seine Schwester anpumpen, um Spielschulden zu begleichen. Und schließlich ist da Christine, deren kurzfristige Liaison mit Strasser im letzten Sommer nicht ohne Folgen geblieben ist und von der man daher vermutet, dass sie ebenfalls Geld eintreiben will. Um mögliche Forderungen ihrerseits zu vereiteln, schließen sich die Männer in bewährtem Hordenverhalten zusammen und behaupten, alle mit ihr geschlafen zu haben. Die Lage ändert sich schlagartig, als Christine von einer großen Erbschaft berichtet.
Horvárth zeichnet ein deprimierendes Bild der kapitalistischen Gesellschaft, in der Liebe (sofern sie nicht käuflich ist), Freundschaft und Hilfsbereitschaft keinen Platz haben. Geld als das „non plus ultra“ innerhalb des Systems bewirkt schlimmsten Opportunismus. Ada fällt aus dem Rahmen, da sie ein Verhalten zeigt, was als normal unter Männern gilt: sie kauft die Männer bzw. diese prostituieren sich. Christine steht zu ihren Gefühlen, glaubt an Aufopferung, Liebe und Romantik. Wobei Gefühle zeigen bei Horvárth Schwäche zeigen heißt.
Bettina Jahnke, Intendantin am RLT, wollte Zur schönen Aussicht inszenieren. Aus Krankheitsgründen musste sie die Produktion dem Dramaturgen des Hauses, Reiner Ortmann, übergeben.
Wir sehen eine große, recht schäbig wirkende Hotelhalle, von der auf beiden Seiten je drei gleich aussehende Türen abgehen. Hirschgeweihe zieren die Wände. Im Hintergrund eine große Waldszenerie mit Tapetentür, im Zentrum eine grüne, drehbare Rezeption. Nach und nach treten zu Eartha Kitts Dolce Vita die dubiosen Bewohner dieses Etablissements auf. Stefan Schleue ist ein teilweise rührender, weil menschlich unbeholfen wirkender Max. Der schneidig-brutale Karl (Jan Kämmerer) erinnert in seiner schwarzen Uniform und den Biker Boots an die Sadomaso-Szene. Andreas Spaniol als Strasser überzeugt als ein Mann, der den Glauben an wahre zwischenmenschliche Beziehungen verloren hat und in Christine nur eine zusätzliche Belastung sieht. Michael Meichßner („Bubi“ von Stetten) erscheint zunächst blass, gewinnt aber im Lauf des Abends an Kontur. Georg Strohbach gibt Müller in braunem Anzug, Kassenbrille und Aktenkoffer. Scheinbar forsch und selbstsicher auftretend, übertüncht er doch nur sein Minderwertigkeitsgefühl in einer für Männer mit völkischem Überzeugungsbewusstsein typischen Weise. Ada – in der Neusser Inszenierung viel jünger als in Horvarths Text – wird von Katharina Dalichau als peitschenknallende Domina im Schlangenlederlook gespielt, nicht unbedingt überzeugend, da zu eindimensional. Ganz im Gegenteil zu Shari Asha Crosson, einer sehr eindrucksvollen Christine. Ihr glaubt man ihre Überzeugung, dass der „liebe Gott“ ihr mit den 10000 Mark, die sie von ihrer Tante geerbt hat, geholfen hat.
Horvárths bitterböser Text verfehlt nie seine Wirkung. Und dennoch: in Neuss wird der Zuschauer erst in der Szene, in der die Männer Christine mit erfundenen Beschuldigungen versuchen, zu übertölpeln, von der unmenschlichen Kälte der zwischenmenschlichen Beziehungen berührt. Dazu passt das Bild, dass Christine (schön im weißen Kleid) von der sich heftig drehenden Rezeption im wahrsten Sinne des Wortes zu Boden geschleudert wird.
Horvárths Figuren sind Alltagsmenschen, Opfer einer gesellschaftlichen Fehlentwicklung. Böse aus Dummheit, aus Angst, aus Selbsterhaltungstrieb.