Die Fremdenfeindlichkeits-Comedy
Eine der Jugendsünden des 36jährigen Dramatikers Philipp Löhle ist die flapsige Antwort auf den Vorwurf nörgeliger Theaterkritiker, seine Stücke wirkten oft ein wenig unausgereift. Die Regisseure machten ja eh, was sie wollten, antwortete der junge Löhle sinngemäß, und das sei auch gut so. Daher sei es ausreichend, ihnen einen erst zu 90 Prozent perfekten Text hinzuwerfen. Er freue sich dann auf das Inszenierungsergebnis. Das ist erstens eine für einen Theaterautor höchst sympathische Einstellung, aber zweitens ertappt man sich nun immer bei der Frage: Ist das neue Stück denn nun perfekt, oder hat es wieder nur etwas Hingeworfenes?
Löhle schreibt leichthändige Komödien, hinter denen sich stets eine beinharte Kapitalismuskritik verbirgt. Beinhart? Nein, „Philipp - Beinhart!“ gibt es nicht. Auch Gesellschafts- und Kapitalismuskritik werden mit gelassenem Humor, großer Toleranz und positiver Lebenseinstellung geäußert. Im Optimalfall gelingen Löhle kleine Geniestreiche wie die brillant komponierte, von überraschenden Wendungen nur so strotzende Globalisierungskomödie Das Ding. Manchmal gibt der Autor sich aber auch mit unterhaltsamen, aber nur durchschnittlich inspirierten Petitessen zufrieden. Für die Regie, die von Löhle ja ausdrücklich freie Hand bekommt, besteht die Herausforderung darin, der vordergründigen Komödie viel Raum zu geben, aber nie aus den Augen zu verlieren, dass der lustige Plot einen ernsthaften gesellschaftspolitischen Hintergrund hat. Bei Löhle muss man viel lachen können. Wenn es aber „hilariously funny“ wird, stimmt etwas nicht.
In Löhles vor gut einem Jahr am Theater Bern uraufgeführtem Stück Wir sind keine Barbaren! geht es um unreflektierte Fremdenfeindlichkeit im Alltag netter, biederer Durchschnittsmenschen. Da Fremdenhass allein nicht lustig macht, mischt Löhle dem Stück jede Menge Klischees über das Rollenverständnis von Männern und Frauen und ein bisschen Sex zum Mithören bei. Dass Letzteres trotz guter Wohngegend in voller Lautstärke durch die Wand zur Nachbarwohnung möglich ist, muss auf Pfusch am Bau und Kölner Klüngel zurückzuführen sein, aber was soll’s - Löhle hat es so gewollt. Nebenan jedenfalls vögeln nach Herzenslust die halbwegs hippen Linda und Paul (gerade eingezogen, nachdem sich am Vormittag der Vormieter erschossen hat(!)), während bei den etwas spießigeren Barbara und Mario die Lust schon ein wenig eingeschlafen ist. Barbara aber nimmt einen Flüchtling in der Wohnung auf, der an die Tür klopft und um Unterkunft bittet, und der ist nicht nur Anlass für den zunächst konfliktären nachbarschaftlichen Austausch versteckt rassistischer Vorurteile und Gutmenschen-Irrtümer, sondern auch Projektionsfläche für erotische Phantasien. Die Identität von Flüchtling Bobo oder Klint bleibt zwar im claire obscur, aber da man in Köln ja so gut durch die Wände hört, können wir bestätigen, dass er Barbaras Sexleben wieder in Schwung bringt. Irgendwann sind beide verschwunden, und Barbaras Leiche wird im Stadtgarten gefunden.
Auf dem Weg vom geilen Einzug der Nachbarn bis zur dumpfen, aber nicht allzu tiefen Trauer Marios über den Verlust seiner Ehefrau (vielleicht hat er sie ja sogar selbst umgebracht?) haben wir gar manchen eher ungewollten Rassismus reflektiert und über manche alltägliche Ehehölle gelacht. Kontrastierend zur etwas grellen Comedy hat Löhle eine Art Bürgerchor eingeführt. Der begrüßt die Zuschauer mit einer schrägen Nationalhymnen-Interpretation und konfrontiert sie gleich zu Beginn mit statistischen Daten, die auch die Deutschen als ziemliche Exoten dekodiert und uns immer mal wieder mit triefender Ironie und gelungenen Formulierungen („Wir schäumen die Milch und trennen den Müll …“, „Wir sind kein Asy-Land!“) auf uns zurückwirft. Diese chorischen Szenen sind nicht mehr Comedy, sondern eher kritisches Polit-Kabarett. Sie müssten den Comedy-Effekt der Vorlage radikal abmildern. Zumindest in der vom Rezensenten besuchten Aufführung im Theater Der Keller gelang dies jedoch nicht.
Das Theater Der Keller war knapp drei Wochen nach der Premiere rappelvoll. Ganz offensichtlich hatte sich herumgesprochen, dass es bei Wir sind keine Barbaren! viel zu wiehern gibt. Es herrschte eine Stimmung wie im Komödienstadl: kreischendes Gelächter pflügte Löhles Polit-Kritik gnadenlos unter. Wobei etwa der Hälfte der Zuschauer durchaus bewusst zu sein schien, dass das Lauschen auf Löhles Zwischentöne gewinnbringend sein könnte. Aber Steffen Jägers Regie und das Spiel der vier Darsteller zielt zu lange auf Comedy-Effekte. Die Wohlgesinnten könnten argumentieren, Jäger habe das Stück in die Nähe von Dario Fo gerückt. Die Schauspieler sind aufgedreht wie ein Dilldopp; sie chargieren, was das Zeug hält und scheuen vor keiner Albernheit zurück, wobei Arno Kempf als Mario, der an Sozialkontakten eher uninteressierte „Sounddesigner für Autos“, rollenbedingt manchmal etwas Ruhe in die hyperaktive Combo bringt. Wie so häufig auch bei früheren Inszenierungen von Dario Fos burlesken Polit-Grotesken, wird die doppelbödige Komödie zur Klamotte hochgejuxt, so dass die von Löhle eingebauten Spaßbremsen wie die allenfalls polit-kabarettistischen Texte des Chors oder die den alltäglichen Rassismus geschickt aufdeckenden Formulierungen von weiten Teilen des Publikums gar nicht wahrgenommen werden. Auch der nachdenklich machende, offene Schluss geht in der Feierlaune des Publikums unter. Wir sind keine Barbaren! gehört sicher nicht zu Löhles stärksten Texten; das Stück ist vergleichsweise einfach gestrickt, seine Ideologie wirkt arg schwarz-weiß. Aber es ist zweifellos zu gut, um auf dem Boulevard geopfert zu werden.
Dennoch: Das Publikum schien’s zufrieden, und wenn die Inszenierung dem Theater die Kassen füllt, mag das Regiekonzept seine Berechtigung haben. Philipp Löhle kann wieder einmal entdecken, was Regisseure so alles aus seinen Stoffen zu machen verstehen. Der anspruchsvolle Zuschauer fühlt sich allerdings um die intellektuelle Komponente des Stücks betrogen.