Antikes Maskenspiel
Als vor nahezu vierzig Jahren Milan Sládek das Festival Gaukler ins Leben rief, wurde Köln zu einer Hochburg der Pantomime. Der Autor dieser Zeilen hat diese Ära miterlebt. Was wohl aus all den Ensembles geworden ist, die damals sozusagen rund um die Uhr auftraten?
Die künstlerische Laufbahn Milan Sládeks begann in Bratislava beim Theater D 34 (Leitung: Frantisek Burian), wo er den Tänzer und Choreografen Eduard Slabek kennenlernte. Es begann eine fruchtbare Zusammenarbeit. Die Niederschlagung des Prager Frühlings trieb beide Künstler in die Emigration. 1970 kam man in Köln wieder zusammen. Nach 1989 kehrte Sládek für eine Reihe von Jahren nach Tschechien zurück, um sich dann erneut in Köln anzusiedeln. In der ersten Phase seines Hierseins hatte er das Theater Kefka gegründet, genannt nach der von ihm geschaffenen Kunstfigur, die er 1960 für Prag kreiert hatte.
Milan Sládeks Ambition war es von jeher, die Pantomime nicht in klassischen Positionen erstarren zu lassen, sondern mit anderen Theaterformen zu kombinieren und solcherart zu bereichern. Dabei war für ihn vor allem das Puppentheater ein Stimulans. Nicht von ungefähr, denn Sládek lernte in Bratislava zunächst die Kunst des Holzschnitzens.
Auch bei seiner neuesten Produktion, einer Adaption der Antigone des Sophokles (Uraufführung), spielen Puppen eine zentrale Rolle, Puppen allerdings der besonderen Art. Sie bestehen aus Halbmasken, die sich Sládek – von Figur zu Figur wechselnd – aufsetzt und in die dazugehörigen, farblich personenindividuell gestalteten Kostüme (Ján Kocman) schlüpft. Ihn jeder dieser Gewandungen wechselt der Pantomime Körperhaltung und Gestik, wobei ihm aus einem siebenköpfigen „Chor“ die entsprechenden Stimmen geliefert werden. Die personalen Verwandlungen Sládeks sind brillant und präzise in der Charakterzeichnung. Man weiß jederzeit, mit wem man es auf der Bühne zu tun hat.
Unterstützt wird Sládek von vier Akteuren, welche bei seinen Rollenwechseln Masken und Kostüme in Positur halten und die Personen auch weiter mitspielen lassen. Die Aufführung gerät also nicht zu einer One-Man-Performance, sondern besitzt die Qualitäten eines durchgearbeiteten Ensemblespiels. Der Sprecher des Kreon sticht mit markantem Timbre aus dem „Chor“ heraus und lässt die Figur zusammen mit Sládeks darstellerischer Präsenz zentraler erscheinen, als wie von der Titelformulierung des Dramas eigentlich vorgegeben.
In der Trinitatiskirche, welche der Kölner Oper zuletzt für eine nochmalige Wiederaufnahme von Benjamin Brittens The Turn of he Screw diente, besteht die Ausstattung (Antonin Málek) aus einem abstrakt dekorativen Tuch als Hintergrundprospekt, mit großen Zacken am Saum, die man zunächst als Teile einer Königskrone (Kreons?) deutet. Ihre Funktion stellt sich dann aber als sehr viel banaler heraus: es sind Halterungen für die Kostüme. Bildzäsuren werden durch rauschhaftes Fahnenschwenken markiert.
Die Selbsttötung Antigones und Haimons zeigt Sládek ohne Kostümierung, bei diesen Szenen trägt er nur sein weißes Schlabbergewand. In diese Entscheidung soll nichts hinein geheimnist werden. In summa ist zu sagen, dass Sládek, der sein affektreiches, immer etwas trauergerändertes Spiel aus früheren Jahren prinzipiell beibehalten hat, trotz fortgeschrittenen Alters (*1938) ein Künstler der leisen Virtuosität, der ausdrucksvollen Bewegung geblieben ist und sein Publikum weiterhin mächtig in Bann zieht. In der zweiten Vorstellung war der Beifall jedenfalls immens.