Übrigens …

Dogville im Theater Krefeld

Eine Geschichte über das Böse, das in jedem steckt

Dogville ist eine kleine, abgelegene Stadt am Rande der Rocky Mountains. Jeder in dieser Gemeinschaft hat seinen festen Platz und seine Aufgaben. Das Leben verläuft in immer gleichen Bahnen und ohne große Aufregungen. Eines Tages bricht in dieses monotone Dasein das Fremde in Gestalt der jungen, schönen, blonden Grace ein. Angeblich auf der Flucht vor Gangstern. Nach anfänglichem Zögern beschließt die Gemeinschaft, Grace aufzunehmen. Grace dankt es durch praktische Arbeit, aber auch durch Zugewandtheit und Aufmerksamkeit, die das Zusammenleben allmählich verändern. Als die Gemeinde jedoch erfährt, dass Grace steckbrieflich gesucht wird, wendet sich das Blatt. Den Bewohnern Dogvilles wird klar, wie abhängig Grace von ihrer Gnade ist. Und sie nutzen diese Notlage weidlich aus. Immer härter muss sie sich ihr Bleiberecht erarbeiten, immer mehr wird über sie verfügt: über ihre Kraft, ihre Zeit, ihren Körper. Grace erträgt dies scheinbar unerschüttert, überzeugt davon, dass die Bewohner Dogvilles nur ihr Bestes tun.

Der dänische Filmemacher Lars von Trier, geboren 1956 in Kopenhagen, gilt als einer der einflussreichsten Regisseure seiner Generation und liefert mit seinen kompromisslosen Filmen regelmäßig Anlass für Kontroversen und heftige Debatten. Er war Mitverfasser des Filmregelwerkes Dogma 95, das in Zehn Geboten ein Plädoyer für die „Keuschheit des filmischen Erzählens“ liefert. Mit den Filmen Dogville (2003) und Manderley (2005), den ersten Teilen einer geplanten, aber nicht realisierten USA-Trilogie, setzt der Regisseur auf extreme Künstlichkeit. Gedreht wurde Dogville ausschließlich im Studio, von Trier verzichtete auf natürliche Lichtverhältnisse und jegliche realistische Dekoration. Die kleine Gemeinde Dogville, deren „traurige Geschichte“ erzählt wird, lässt er durch ein paar Kreidestriche auf dem Boden erstehen – getreu Brechts Forderung nach Vermeidung jeglicher Wirklichkeitsabbildung. Brecht: „Das Zeigen muss gezeigt werden.“

Matthias Gehrt inszeniert Dogville im Theater Krefeld. Das Bühnenbild übernimmt die Anregung aus dem Film, die Grundrisse der Häuser mit weißen Linien auf die nach hinten ansteigende Bühne zu zeichnen. Die Möblierung ist äußerst sparsam. Ein paar Obstkisten hier, ein Sessel und eine Stehlampe dort. Michael Grosse spielt den Erzähler, der immer wieder den roten Faden der Geschehnisse übernimmt und durch seine Kommentare geschickt die Aufmerksamkeit der Zuschauer lenkt. Jonathan Hutter überzeugt als angehender, junger Schriftsteller, der seine Hauptaufgabe darin sieht, den Mitbürgern den Weg zu einem besseren Leben zu weisen. Anrührend ist es, zu verfolgen, wie sich seine Zuneigung zu Grace zögernd entwickelt („Die Sehnsucht macht es eigentlich nur noch schöner.“). Nele Jung gelingt eine überaus facettenreiche Darstellung der Grace bzw. ihrer sich ändernden Einstellung zu den Bewohnern Dogvilles. Adrian Linke ist ein meist eintönig grummelnder Chuck, dessen unterschwellige Brutalität jedoch zu Tage kommt, wenn er Grace vergewaltigt.

Insgesamt verläuft der Abend bis zur Pause jedoch mehr betulich. Wiederholte Einspielungen von Vivaldi- und Albinoni-Passagen ermüden auf die Dauer. Ebenso wie manch stereotype Bewegungen wie die Putzarien Marthas (Helen Wendt). Auch wenn deren didaktische Absicht – die Darstellung des monotonen Alltags – klar ist. Nach der Pause spitzt sich das Geschehen auf der Bühne zu, wie es der Film inhaltlich vorgibt. Hier wird es spannend, intensive Gefühle werden sichtbar. So mutiert Grace zu einer durchaus machtbewussten Person, die letztlich nicht davor zurückschreckt, Tom zu erschießen: „Es gibt Dinge, die muss man selbst erklären“.

Der Zuschauer wird mehr und mehr gepackt von der sich zuspitzenden Entwicklung der Ereignisse in Dogville, die ihn konfrontieren mit so essentiellen Fragen wie: Was ist der Mensch und was treibt ihn an? Wie kommt das Böse in die Welt?