Ich Ich Ich im Recklinghausen Ruhrfestspiele

„Tête-à-tête“ mit Frankreich

 „Ein dramatisches Rendezvous mit Frankreich“ soll es sein, ein „Tête-à-tête“ der theatralischen Art bei den diesjährigen Ruhrfestspielen (1. Mai – 14. Juni), dem ältesten, zum 69. Mal stattfindenden Theaterfestival Europas. Namhafte Produktionen, von Klassiker-Inszenierungen bis zu Uraufführungen, werden geadelt durch die Präsenz französischer Schauspieler-Legenden wie Juliette Binoche und Michel Piccoli, Hervé Pierre und André Marcon. Mit Eugène Labiches Ich Ich Ich starteten die Festspiele am Sonntag in Recklinghausen – mit einer seiner bösen Komödie.

Wäre sie doch nur so böse, wie Labiche sie 1864 auf die Bühne losließ. Doch was Martin Kušej, als Koproduktion der Festspiele mit dem Residenz-Theater München, auf die Spielfläche des Festspielhauses in Recklinghausen versetzte, ist weder richtig böse noch von beißender Ironie. Dabei ist Labiches Moi, so der Originaltitel, eine seiner zahllosen Abrechnungen mit dem französischen Bürgertum  des 19. Jahrhunderts, in dem Spekulation, Profitgier und Geld sich als die wahren Götter eines gnadenlosen Kapitalismus erwiesen.

Aus Labiches einzigem Moi kitzelt Kušej gleich ein dreifaches  Ich Ich Ich heraus. Doch der so betonte Egoismus ist kaum mehr als Behauptung. Sicher, der 50-jährige Rentier Dutrécy (Markus Hering) ist ein rechtes Ekel, das mit dem fettleibigen Geschäftsfreund Porcheraie (Oliver Nägeli) auf Kosten des auch nicht gerade koscheren Hausarztes Fourcinier (Götz Schulte) ein garstiges Betrugsspiel treibt. Doch was der Inszenierung fehlt, ist die Fallhöhe – vom Freundesbetrug übelster Art auf die Ebene moralischer Werte. Dass es zum Sturz der korrupten Machenschaften der Etablierten kommen kann, dafür sorgen die Jungen, die Werte wie Freundschaft und Liebe aufleben lassen. Zuvor muss der altersgeile Geld- und Hausbesitzer Dutrécy sich aber bei der von ihm umschwirrten Nichte Thèrése (Nora Buzalka) eine blutige Nase holen. Sein Neffe und dessen Freund Georges (Thomas Lettow) erscheinen in diesem Moral-Chaos immerhin als Hoffnungsträger eines Wandels: Sie tragen die zuvor auch nicht gerade zimperlichen Frauenzimmer, Madame de Verrières und Thérèse, auf Händen aus der Zone der Verlogenheiten. “So ist der Mensch“, schlussfolgert Dutrécy, ehe das Licht ausgeht. „Alle denken nur an sich, nur ich denke an mich“.

Kušejs Inszenierung versäumt es lange, Butter bei die Fische zu tun, sich zu entscheiden. Witz und Frechheit fehlen doch sehr. Allenfalls Thomas Gräßle als überforderter und angeekelter Diener Aubin darf der verzweifelten Bosheit Zucker geben. Nach der Pause zog das Geplänkel, das zuvor ohne rechtes Ziel dahin plätscherte, spürbar an. Die Charaktere bekamen Konturen, und als Hoffnung leuchtete die Erkenntnis auf, dass Korruption und Gier doch nicht die letzten Worte sind.