„But money…is never just money. And it always has the last word.“ (Paul Auster)
„Man kann alles kaufen“: Die alte Dame Claire Zachanassian liefert die Probe aufs Exempel und kauft sich Gerechtigkeit, genauer gesagt, das, was sie dafür hält.
Dürrenmatts Klassiker hat nach wie vor nichts von seiner Aussagekraft verloren. Geht es doch um den Preis für die Sicherung des Wohlstandes. Was ist der Mensch wert? Was bringt die dünne Glasur der Zivilisation zum Platzen, wenn es um die Bedrohung der eigenen wirtschaftlichen Absicherung geht?
Ort der Handlung ist Güllen, eine Kleinstadt irgendwo in Deutschland. Schaut man genauer hin, tritt die schockierende Wahrheit zu Tage, dass alle Bürger deutlich über ihre Verhältnisse leben. Den Güllenern steht das Wasser bis zum Halse. Höchste Zeit, dass die Milliardärin Claire Zachanassian nach langer Zeit im Ausland ihrer Heimatstadt einen Besuch abstattet. Sie hat es durch Heirat und geschickte Geschäfte zu unermesslichem Reichtum gebracht. Die Stadtelite, allesamt ehemalige Klassenkameraden von Claire, hofft auf eine großzügige Unterstützung. Doch Claire setzt eine Bedingung für die Rettung aus der finanziellen Misere. Sie fordert Gerechtigkeit: „Mit meiner Finanzkraft leistet man sich eine Weltordnung…Anständig ist nur, wer zahlt, und ich zahle. Güllen für einen Mord.“ Eine Milliarde, wenn jemand ihre Jugendliebe Alfred Ill, der sie einst mit einem Kind sitzen ließ, tötet. „Die Welt machte mich zu einer Hure, nun mache ich sie zu einem Bordell“, so ihre Meinung. Rache ist ihre Motivation, wenn sie eine vierzig Jahre zurück liegende Verletzung kompromisslos verfolgt. Mit ihrem Geld schaltet sie die Moral in dieser Stadt aus und kommt letztlich zum Ziel.
Schulden sind auch heute noch als sogenannte „Investitionen in die Zukunft“ ein Thema, Konsumkredite kurbeln die Wirtschaft an und werden jederzeit gern ohne Nachfrage nach der finanziellen Lage des Antragstellers problemlos gewährt. Die Bereitschaft zur Verschuldung ist hoch, abzulesen an der ansteigenden Verschuldungsrate bei Jugendlichen und der zunehmenden Zahl der privaten Insolvenzen.
Dürrenmatt schrieb mit „Dem Besuch der alten Dame“ eine Tragikomödie, eine Mischung aus Tragödie und Komödie. Wie er meint, „die einzig mögliche dramatische Form, heute das Tragische zu zeigen“.
Anselm Weber inszenierte das Stück in einer gestrafften Version. Bestechend das Bühnenbild: eine Art Stierkampfarena aus schwarzen Brettern. Treffend als Bild für die „Hinrichtung“ von Ill geeignet, wobei Claire Zachanassian häufiger im obersten Kreis zu sehen ist – u.a. auf einem roten Sessel mit Zigarette und Drink thronend – und Alfred Ill unten in der Arena seinen Krämerladen betreibt. Mechthild Grossmann überzeugt als zutiefst verletzte, nur noch von Rache träumende Milliardärin, die, vom Schicksal gebeutelt, jetzt rigoros der Stadt und dem Jugendgeliebten ihre Rechnung präsentiert. Ihr ebenbürtig Matthias Redlhammer als Ill. Glaubhaft sein Wandel vom großmäuligen Angeber zu jemanden, der resigniert und sich in das unabwendbare Schicksal ergibt. Die Gemeinschaft der Bürger bleibt eher blass gezeichnet. Häufig zusammen auftretend, z.B. als Chor, den der larmoryante, redselige Lehrer (Roland Riebeling) rührselige Weisen schmettern lässt. Marco Massafra fällt positiv als Wendehalsbürgermeister auf, der sich geschmeidig der neuen Situation anpasst, natürlich „aus Gemeinschaftsgefühl, aus Liebe zur Vaterstadt“.
Der Abend wird durchzogen von dem Jagdmotiv. Immer wieder sieht man Einblendungen wie „Aufbruch zur Jagd“ oder „Die Sau ist tot“. Das Jagdhorn ertönt und trotzdem will sich keine Spannung bei dieser Menschenhatz einstellen. Zaghafte Aktualisierungsversuche wie die Tatsache, dass alle Gülnener plötzlich neue Handys haben und den ICE am Städtchen vorbeidonnern hören, verpuffen. Die brisante Thematik hätte mehr Aufmerksamkeit verdient. So sieht man eine beschauliche, unauffällige Inszenierung und geht – unverstört – heim.