Schwarze Milch der Frühe - Der Dichter Paul Celan im Recklinghausen Ruhrfestspiele

Streichquartett der Worte

Es ist die vielleicht ruhigste, unaufgeregteste, gleichwohl in ihrer Kompaktheit intensivste Produktion der Ruhrfestspiele. Ein von vier Personen eindringlich formuliertes Rezitationskammerspiel, gewissermaßen eine Art Streichquartett der Worte, unter strenger Beachtung von Form, Rhythmus und Stimmungen. Gesprochen und dezent szenisch belebt zu Ehren des Dichters Paul Celan, in allem Ernst, in größter Melancholie, doch ohne Pathos oder andere Formen der Überzeichnung.

Schwarze Milch der Frühe ist der Abend in Recklinghausen überschrieben, eine Erinnerungssymphonie in Briefstellen und Gedichten, erdacht und in Szene gesetzt von Jutta Ferbers. In aller Behutsamkeit interpretiert von Karla Sengteller, Laura Tratnik, Martin Seifert und Sabin Tambrea. Ihnen hat Maria-Elena Amos ein quadratisches, eher enges Spielfeld gezimmert, blau in seiner Grundfärbung, mit nur vier Stühlen knapp möbliert.

Die kleine Bühne des Festspielzeltes ist für diese Produktion des Berliner Ensembles bestens geeignet; es bleibt sogar im Hintergrund noch Platz fürs dreiköpfige Kammermusik-Ensemble. Das beginnt, mit der Oboistin Antje Thierbach, mit Mark Scheibe (Klavier) und dem Geiger Wojciech Garbowski, melodisch verhalten, bevor es abrupt in schäbiges Geräusch abgleitet. Dieser Kontrast von sanft singender Wehmut und knarzigen Klängen prägt den Abend – und spiegelt damit das tragische, von Schuldgefühlen geprägte, manchmal sogar glückliche Leben des Paul Celan.

Geboren wurde er 1920 im damals rumänischen, dann ukrainischen Czernowitz, während des Krieges wird die Stadt 1941 von der SS besetzt. Die Nazis deportieren Celans Eltern in ein ukrainisches Vernichtungslager, dem Jungen bleibt der Arbeitsdienst. 1947 gelingt ihm, nunmehr vor den Kommunisten, die Flucht über Budapest nach Wien, ein Jahr später wird Paris seine Heimat. Im gleichen Jahr erscheint in deutscher Sprache die Todesfuge mit eben jenem Beginn „Schwarze Milch in der Frühe“ und dem zentralen Satz „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“.

Im Stück rezitiert Martin Seifert dieses düstere Gedicht, ohne Schwulst und Aufgeregtheit, in punktgenauer Diktion und damit ungemein wirkmächtig. Noch stärker aber berührt uns eine kleine, fünfstrophige Hommage an Celans Mutter:

„Espenbaum, dein Laub blickt weiß ins Dunkel. Meiner Mutter Haar wird nimmer weiß“. Dann wieder geht es in Briefen um die Liebe zu Ingeborg Bachmann, später um Schreiben an des Dichters Ehefrau, Gisèle de Lestrange. Dabei sind die Texte bewusst nicht chronologisch angedeutet, sie spiegeln Stationen eines Lebens, vor allem aber Befindlichkeiten einer zerklüfteten Seele.

Während eine(r) rezitiert, stehen die anderen da. Oder sitzen. Blicken ins Leere, teilnahmslos, wie verloren, gefangen in Agonie. Celans Leben war auch von Aufenthalten in der Psychiatrie geprägt und endete 1970 im Selbstmord, weil er die Last der Vergangenheit nicht ertragen konnte, ihm das Schlüpfen aus der eigenen Haut nicht gelang. Die ganze Ausweglosigkeit seines Daseins hat Jutta Ferbers in diesem Stück eingefangen. Chapeau!