Übrigens …

Flucht nach Ägypten im Recklinghausen Ruhrfestspiele

Was ist Liebe, was ist Heimat?

Flucht nach Ägypten, George Taboris erstes Bühnenwerk, kam im März 1952 am Broadway zur Uraufführung. Diese Produktion sollte eine Art „Testballon“ für eine nachfolgende Verfilmung des Stoffes sein. Was sich dann jedoch aus verschiedenen Gründen nicht ergab.
Taboris Werk, das in dieser Koproduktion zur europäischen Erstaufführung kam, ist mit seiner Emigrantenthematik aktueller denn je. Nur dass sich die Richtung der Flüchtlingsströme von heute umgekehrt hat. Tabori selbst kannte das Leben im Exil nur zu gut. Geboren in Ungarn, später britischer Staatsbürger, längere Zeit in den USA lebend, dann in Deutschland beheimatet.

Flight into Egypt, das Elia Kazan in New York ohne großen Erfolg herausbrachte, spielt 1949 in einem Hotel in Kairo. Treffend beschreibt Tabori die schwüle Atmosphäre dieses Ortes, wo der Orient auf den Westen trifft, auch ein Ort quasi in einem „Schwebezustand zwischen gestern und morgen“. Gäste in diesem Etablissement sind eine Reihe recht skurril gezeichneter Typen, die durchaus komödiantische Züge tragen.
Das Hotel gehört Mr. Glubb, einem zwielichtigen, absolut unmoralischen Mann, der u.a. durch Wuchergeschäfte zu Geld gekommen bist. Er pflegt eine recht negative Sicht auf das Leben und seine Gäste. Zu denen zählt der bucklige Arzt Dr. Ghoulos, der – wie manch anderer Mann in dem Hotel – nicht davor zurückschreckt, die Notlage anderer auszunützen. Im Zentrum steht die vor dem Krieg aus Wien geflüchtete Familie Engel: Franz, krank und morphiumsüchtig als ehemaliger KZ-Häftling, seine junge, attraktive Frau Lili und ihr Sohn Bubi. Sie warten voller Sehnsucht auf das heiß ersehnte Visum, das ihnen nach jahrelanger Odyssee als Emigranten endlich den Weg nach Amerika, dem Land der Verheißung, öffnen soll. Finanziell sind sie am Ende. So versucht Lili auf verschiedene Weisen, an Geld zu kommen. Sie näht u.a. ein Kleid für Miss Foster, eine reiche, einsame Frau, die zur Emigrantengesellschaft in Kairo gehört, was diese jedoch kalt und wechselmütig zurückweist. Dr. Ghoulos, der sich als Arzt, aber nicht als Wohltätigkeitsverein sieht, nutzt ihre Bitte um Unterstützung aus: „Kommen Sie in mein Zimmer und ich gebe Ihnen, was Sie brauchen.“ Das herzlose Ehepaar Kuglhopf – Bubi nennt sie treffend „dicke, reiche Leute“ – ist mehr daran interessiert, Bubi mit nach Amerika zu nehmen, und scheut keinen Trick, Lili abzuwimmeln. Gubb drängt auf die ausstehende Miete für die letzten zwei Monate. Ihr Aufenthaltsvisum ist abgelaufen, die Lage spitzt sich zu. Der kaltherzige amerikanische Vizekonsul Bronson führt sich auf wie Herrscher über Leben und Tod, wenn er die wenigen Visa unter der Schar der Antragsteller verteilt. Diese müssen „natürlich“ gesund sein, denn: „Einem Krüppel kann ich kein Visum geben. Er wäre eine Belastung für das Land.“

Frank Hoffmann (Regie und Bühne) und Jasna Bosnjak haben ein eindrucksvolles Bühnenbild für diese überwiegend deprimierende Situation – insbesonders für die Engels – gefunden. Es gibt kaum Requisiten, nur hier mal eine Sitzgruppe, dort ein Bett und ein Nachtkästchen im Zimmer der Engels. Die Spielfläche liegt im Dunkeln, nur die einzelnen Spielszenen werden spotartig beleuchtet. Was auch dokumentiert, dass jeder letztlich auf sich allein gestellt ist und für seine Interessen kämpfen muss.

Intensiv-schmerzlich das Verhältnis zwischen Franz und Lili. Heikko Deutschmann überzeugt als schwer kranker, kaum gehfähiger Mann (“Der Schmerz ist schneidend und brennt wie eine Kerze“), der sich noch lange an die utopische Hoffnung klammert, mit der Reise nach Amerika könne sich alles noch zum Guten wenden. Gleichzeitig wird er von Zweifeln geplagt, zu was Lili aus not getrieben sein könnte („Die Welt ist voller Männer, die gehen können“). Lili (Tatjana Nekrasov – unglaublich facettenreich) glaubt an ihre Liebe zu Franz: „Sag, eine Ehefrau, was ist sie für dich? Ein Dekorationsgegenstand? Beleidige mich nicht.“ Und verzagt doch immer wieder: „Wir haben diese Liebe vor uns hergetragen wie eine Fackel. Aber was ist noch übrig von ihr?“ Eigentlich will sie in die Heimat, nach Wien, zurück an den Ort all der schönen Erinnerungen. Lange aber gesteht sie sich das nicht ein. Sie kämpft und kämpft und wird immer wieder abgewiesen und erniedrigt.

Frank Hoffmann kann sich auf Schauspieler verlassen, denen es sehr gut gelingt, die Zuschauer an den gescheiterten Träumen teilhaben zu lassen, an Liebe und Aufopferung, an Gier und schamloser Ausnützung von Mitmenschen in Not. Bewegend, wenn Miss Foster (Maria Gräfe) Edith Piafs „If you love me, really love me“ singt, schmerzlich-eindrucksvoll dabei ihre Einsamkeit.

Es sind zwischenmenschliche Beziehungen unterschiedlichster Art, die immer aktuellseinwerden, die diese Arbeit anreißt und die über die konkrete Situation hinaus den Zuschauer ergreifen.