Glanz und Elend der Johanna von O.
Zum Abschluss ein großes Geschenk. Fesselndes Theater, das von Sprachmacht lebt und der Diktionskunst des Ensembles, von mimischer Vielfalt zudem. Das sich also aufs Wesentliche konzentriert, jeglichen Schnickschnack beiseite lässt. Das Purismus zelebriert um der Spannung willen. Zwei Stunden lang sind wir gebannt. Um beglückt oder nachdenklich oder erstaunt nach Haus zu gehen.
Im Kopf die Verse von Schillers Die Jungfrau von Orleans. Ein Stück, das von Heldenmut, (übersteigertem) Glauben, Kriegslust und Versöhnungsgeist erzählt. Das uns hier, bei den Ruhrfestspielen Recklinghausen, das Deutsche Theater Berlin in größter Konzentration kredenzt, im Ambiente des Zwielichts, nicht krachend übersteigert, sondern trefflich in der Figurenzeichnung.
Im Mittelpunkt, im Lichtkreis der ansonsten ziemlich nachtschwarzen, nur mit ein paar riesenhaften Quadern ausgestatteten Bühne Olaf Altmanns, steht Johanna. Als frommes Mädchen mit göttlichem Auftrag, als Heldin mit dem Schwert bewehrt, als Mutmacherin, wilde Streiterin und zur Versöhnung Mahnende, zuletzt als Eingekerkerte, die ihren Tod auf dem Schlachtfeld halluziniert. Und so steht sie da, in der Gestalt von Kathleen Morgeneyer, wie eine Alice im Wunderland im weißen Nachthemdchen, fast die ganzen zwei Stunden lang. Wie verwurzelt hält sie stand, zugleich einem glühenden Fixstern ähnelnd, um den die anderen ihre Kreise ziehen.
Doch die so stark und unangreifbar wirkt und sich wähnt, erlebt letzthin nur ihren Zerfall. Immer mehr Blut klebt an diesem Wundermädchen, das von der Liebe bedrängt und vom Vater verraten wird. Das sich in all ihrem Elend aber noch einmal aufbäumt zur großen Geste. Dann zelebriert Morgeneyer mit fester, klarer Stimme ihre eigene Vernichtung. So stark wie sie zuvor ihren Auftrag uns entgegenschleuderte, sich ihr raues Timbre zunutze machend. Pathos ist im Spiel, doch keine Peinlichkeit. Und wenn sie am Königshofe ihrer Jugend nachsinnt, stammelnd und scheu wie ein Reh, wenn sie zagend von ihrer Berufung spricht, erleben wir einen wunderbaren Moment zärtlicher Melancholie.
Morgeneyer ist eine Gefühlsvirtuosin, so wie der Regisseur dieses großen Abends, Michael Thalheimer, ein Meister der Wirkmacht ist. Der es nicht nötig hat, „nach“ Schiller zu inszenieren, der hier der inflationär gewordenen Videoprojektionsmasche entsagt, der auch, sagen wir mal, kein hysterisches Geschäftsleutepersonal braucht, das irgendwelche Textfetzen ins Handy brabbelt. Der es aber versteht, Charaktere auf die Bühne zu stellen. Und dessen Kostümbildnerin Nehle Balkhausen sich zwar die Freiheit nimmt, den einen ins Rittergewand, die andere ins moderne Kleid zu stecken, damit aber keine Figur desavouiert. Wenngleich: Sie alle, wie sie sich aus dunklem Hintergrund langsam herausschälen, wirken blass gegenüber der einen Lichtgestalt.
Nehmen wir nur den Franzosenkönig: Ängstlich ist er, ein nervöser, bisweilen weinerlicher Mann, den Christoph Franken als Herrscher der zögernden, traurigen Gestalt gibt, dessen Unsicherheit sich im Zittern der Finger spiegelt. Und seine Geliebte Agnes, gespielt von Meike Droste, die sich vom Tand lösen will, um Geld zu beschaffen fürs armselige Heer, wirkt mindestens genauso hilflos. Einzig Almut Zilcher als Königsmutter, mit schnarrender Stimme, eine Megäre auf turmhohen Hacken, lässt Stärke aus dem Geist des Zynismus aufblitzen.
Doch sie sind nur Bezugspunkte, Stichwortgeber für die Dame blanche namens Johanna. Und so ist Thalheimers Inszenierung, genau betrachtet, auf einen großen Monolog fokussiert. Theater für Puristen eben – es wird heftig applaudiert.