Massenmörders Höllenfahrten
Voluminös und bedrohlich schallt die Stimme aus dem Off: „Ihr, die ihr hier eintretet, lasset alle Hoffnung fahren“. Hans Dreher lässt in seiner jüngsten Inszenierung in der Theaterhöhle an der Bochumer Rottstraße die Horror-Welt von American Psycho entstehen. „IHR, DIE IHR EINTRETET, LASSET ALLE HOFFNUNG FAHREN / In dunkler Farbe sah ich diese Zeilen / Als einer Pforte Inschrift …“ In dem bluttriefenden zeit- und gesellschaftskritischen Horror-Roman von Bret Easton Ellis stehen diese Worte in roter Farbe als Graffito an der Fassade der Chemical Bank. Es sind die Worte, die in Dante Alighieris „Göttlicher Komödie“ über dem Eingang zur Hölle stehen.
Patrick Bateman ist Investment Banker. Mary Harrons Roman-Verfilmung erblickte erst neun Jahre nach dem Erscheinen des Buches, also im Jahre 2000, das Licht der Welt - zu einem Zeitpunkt, zu dem man das nach dem Zusammenbruch der sozialistischen Gegenwelt hemmungslos gewordene Gebaren dieser Spezies längst erkennen konnte. Da ließ so manche Film-Szene den einst in der Finanzbranche tätigen Rezensenten nur nachsichtig mit den Schultern zucken: Ja, so sind sie halt, die sogenannten Rainmaker, die so oft anstelle eines Geldregens ein Meer von Tränen über ihre häufig wechselnden Arbeitgeber gebracht haben: Sie gefallen sich in narzisstischen Selbstbespiegelungen, großspuriger Verschwendungssucht und machohafter Machtausübung. Nicht alle aber sind so inhaltsleer und oberflächlich wie Bateman und seine Kollegen - und wenige sind so pervers wie Patrick. Der arbeitet (wenn er denn nicht gerade im hochpreisigsten Etablissement zum Lunch weilt) als M & A Specialist bei Pierce & Pierce. Das ist die gleiche fiktive Investment Banking Boutique, die auch Sherman McCoy aus Tom Wolfes Fegefeuer der Eitelkeiten hervorgebracht hat. Batemans Eitelkeit, die der Ich-Erzähler Felix Lampert in Hans Drehers Inszenierung mit denselben Worten beschreibt wie Christian Bale in Mary Harrons Film, treibt ihn zum Verlust seiner eigenen Persönlichkeit, und sein Narzissmus zur abgrundtiefen Verachtung seiner Mitmenschen. In der City That Never Sleeps erwacht des Nachts das zweite Ich des eitlen Bankers. Dann räumt er Penner, Nutten und Schwule aus dem Weg. Immer stärker verfällt er dem Rausch der Drogen; immer rauschhafter, grausamer und brutaler werden die Morde dieses Wiedergängers von Hitchcocks Norman Bates - Namensähnlichkeiten sind nicht zufällig. Und nicht ohne Grund stand Ellis‘ Roman Ende der 90er Jahre jahrelang auf dem Index für jugendgefährdende Schriften.
Eitel, oberflächlich, menschenverachtend ist dieser Patrick Bateman. Aber er verachtet auch sich selbst. Es ist weniger die Spaltung seiner Persönlichkeit, die er wahrnimmt, als vielmehr die Auflösung seines Ichs: "Es gibt eine Vorstellung von einem Patrick Bateman, die abstrakt ist, aber es gibt kein wahres Ich, nur eine Entität, etwas Illusorisches“, sagt er von sich selbst: „Ich bin ganz einfach nicht da.“ Diese selbst empfundene Leere mag ein Erklärungsmodell für seine massive Persönlichkeitsstörung sein, die ihn zu immer brutalerem Vorgehen zwingt. Dieser Bateman ist sich selbst ein Alptraum, Früh schon, viel früher als im Film wird das Psychopathische der Figur des Bateman deutlich: Die 80 Minuten kurze Bochumer Inszenierung zeigt die verwüstete Trümmerlandschaft seines Innenlebens. Wenn sie an ihre Hochzeit denkt, träumt seine Verlobte Evelyn von Marzipantorte und roten Schuhen. Bateman dagegen schwingt eine Kalaschnikow. Dreher konzentriert sich in seiner Inszenierung nicht auf die Hölle, die der Massenmörder für die Außenwelt darstellt, sondern auch auf die Hölle, in der seine Seele brennt, ohne Aussicht auf Erlösung. Wie in Dantes Göttlicher Komödie.
Felix Lampert, eine der Anchor Persons des ohne festes Ensemble arbeitenden ROTTSTR5 Theaters und seit der Gründung der kleinen Off-Bühne im Jahre 2009 dabei, ist mit dem für diesen Schauspieler typischen intensiven flackernden Blick eine Idealbesetzung. Zu Beginn der Inszenierung verkörpert er den Bateman als perfekte Kopie von Christian Bale in Mary Harrons Film. Großartig trifft er die Arroganz des perfekt gestylten, aber emotional unterbelichteten Bankers; mit gleicher Arroganz spricht Lampert beim Sex mit der Prostituierten Patricia von seinem mangelnden Wunsch, sie zu töten. Mehr und mehr bricht sich der Wahnsinn in seinen Bewegungen, seiner Sprache und seinem Blick Bahn. Und doch gibt es eine Szene, in der Lamperts Bateman ganz klein und schüchtern wird. Bateman trifft im Fahrstuhl einen wahrhaft Großen, den Schauspieler Tom Cruise, und ihm gegenüber fühlt er endlich etwas: Er empfindet Unterlegenheit. (Tatsächlich gibt Bateman im Roman, im Film und in der Inszenierung als seine Adresse das „American Gardens Building“ in der 81. Straße West an, in dem der reale Tom Cruise einst ein Apartment hatte.)
Simon Krämers Soundtrack verstärkt die Spannung, die Plot und Inszenierung schnell entwickeln. Büro- und Straßengeräusche unterlegen immer wieder die kurzen Monologe und Gespräche. Im Film exekutiert Bateman seine Morde zu endlosen Analysen und Laudationes seiner präferierten Popmusik-Künstler. Auch in Bochum dienen deren lautstarke Songs der Verstärkung des Grusels. Die Mordtaten werden vor allem durch zum Platzen gebrachte Luftballons symbolisiert, begleitet von zunehmend abstoßenden, von Lampert mit wirrem Blick vorgetragenen Schilderungen. Später gewinnen sie auch durch Awa Winkels Licht-Design an Radikalität: aus Blau und Grün wird immer mehr Rot. Die Ekstase, die Disko, Drogen, Blut und Sex verursachen, wird auch mal als Schattenriss hinterm Vorhang dargestellt. Schließlich dann der Amoklauf: Licht und Sound vermitteln Tempo und Action; unendlich viele Luftballons platzen, und blutrotes Strobolight durchschneidet die Luft wie Batemans Messer seine Opfer.
Dieses erbarmungslose Gemetzel, dieser wilde Blutrausch führt zum Zusammenbruch Batemans. Er will sich stellen. Doch „es gibt kein wahres Ich, nur etwas Illusorisches“, hatte Bateman über sich gesagt, und er wiederholt diesen Satz zum Ende von Drehers Aufführung. Auch dem Thema der ungewissen Identität gilt Drehers Aufmerksamkeit, und zwar nicht nur im Hinblick auf die gespaltene oder sich auflösende Persönlichkeit. Stärker als im Roman und im Film beschleicht den Zuschauer der Bochumer Aufführung immer wieder der Verdacht, all diese grausamen Geschehnisse spielten sich nur in Patrick Batemans Alpträumen ab. Zuvor schon hatte es immer wieder dezente Hinweise darauf gegeben, dass die Bluttaten sich nur in der Phantasie des Psychopathen ereignen; jetzt, als er ein Geständnis ablegen will, glaubt ihm keiner. As things fell apart / nobody paid much attention - Bret Easton Ellis hat dieses Zitat von den Talking Heads seinem Roman vorangestellt. Vielleicht war ja alles nur perverse Phantasie, der Bateman sich durch sein Geständnis entziehen will. Doch in der alptraumhaften Welt, in die Bateman eingetreten ist, gibt es keine Hoffnung. Aus dieser Welt der Oberflächlichkeiten und des Hasses, aus der Welt des Genusses, der nicht befriedigt, und der Perversitäten, die Bateman nicht zur Ruhe kommen lassen, gibt es kein Entrinnen. Und so schließt die Aufführung wieder mit der Stimme aus dem Off - und mit den berühmten Schlusssätzen aus Mary Harrons Film: „… über einer der mit roten Samtportieren verkleideten Türen … ist ein Schild, und auf dem Schild stehen in farblich auf die Portieren abgestimmten Lettern die Worte KEIN AUSGANG."
Der lange Jubel im ausverkauften Haus erreichte beinahe die Lautstärke der Rock-Rhythmen, mit denen Bateman sich betäubte.