Die Verwandlung im Schauspielhaus Düsseldorf

Reaktionen auf einen Andersartigen

Die bedrohlichen und unheimlichen Labyrinthe, in die Franz Kafkas Helden geraten, haben seinen Namen sprichwörtlich gemacht. Spricht man doch von einer kafkaesken Situation, wenn man sich in einer unüberschaubaren, feindlichen und bedrohenden Lage befindet.

In einer solchen Situation findet sich auch Gregor Samsa wieder, der Protagonist in Kafkas wohl bekanntester Erzählung Die Verwandlung (1912). Die Geschichte beginnt mit einem der berühmtesten Sätze der Literaturgeschichte: „Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheuren Ungeziefer verwandelt“. Eine deutliche, scheinbar sachliche Feststellung eines schier unmöglichen Vorganges. Kafka beschreibt tatsächlich die Verwandlung Gregors in ein Insekt. Aber längst nicht in allen der zahlreichen Inszenierungen der Verwandlung wurde die Metamorphose zum Insekt tatsächlich auf der Bühne dargestellt. So auch nicht in der Bearbeitung Müller-Elmaus, der die Erzählung gerade auf die Bühne des Kleinen Hauses gebracht hat.

Ein Grundthema für ihn ist, wie sich Menschen in der Welt orientieren und welche Wirklichkeiten sie akzeptieren. Zu Kafka meint der Regisseur, man müsse sich auf seine gespenstische Welt einlassen und sie für die Wirklichkeit nehmen. Mit Logik komme man da nicht weiter.

Konsequenterweise fehlt auch in der Düsseldorfer Produktion der erste Satz der Verwandlung. Hier liegt Gregor (beeindruckend: Daniel Fries) auf einem Stapel alter, fleckiger Matratzen im Vordergrund der Bühne. Wände aus kupferfarbenem Metall grenzen sein Zimmer wie einen Käfig ein. Was immer Gregor tut, es wird per Projektion auf einer Leinwand im Hintergrund abgebildet – wie eine Dokumentation eines Laborversuches. Passend dazu große Flaschen im oberen Bühnenbereich, die mit einer amberfarbenen Flüssigkeit gefüllt sind. Sie erinnern an die bis zum letzten Jahrhundert übliche Konservierung von Präparaten der Medizin und der Biologie (Herzen, Gehirne, aber auch Schlangen und Vogelembryonen). Zwei Schreibtische, mehrere gedämpfte Lichtquellen und ein leeres Terrarium ergänzen das in warmen Tönen gehaltene Bühnenbild. Im Hintergrund rieselt beständig ein beleuchteter Sandstrahl zu Boden – Symbol für die vergehende Zeit?
Gregor muss sich zu Beginn aus einer kokonartigen weißen Stoffhülle befreien, wie eine Raupe, die aus der Verpuppung schlüpft. Bekleidet nur mit einer Unterhose wandelt er sich doch im Laufe des Abends immer mehr in eine Art Tier. Seine Haut wird rissig und schmutzig, er buddelt sich zeitweise tief in den Matratzenberg hinein. Krähenlaute tragen zu der irreal-bedrohlichen Atmosphäre bei, erinnern an Hitchcocks Meisterwerk Die Vögel.

Bettina Kerl und Jonas Gruber spielen jeder gleich mehrere Rollen. Besonders prägnant sind sie natürlich als Vater und Mutter Samsa. Überzeugend die wechselnden Einstellungen zu ihrem ach so andersartigen Sohn, von Empörung („Wie kann unser Sohn so ein Egoist sein? Das ist Verrat an der Familie.“) bis anrührender Fürsorge. Mutter Samsa wäscht ihren verschmutzten Sohn, hin- und hergerissen zwischen Liebe und Ekel.

Es ist eine eindringliche, unaufgeregte Inszenierung des Klassikers, getragen von drei hervorragenden Schauspielern. Beeindruckend in der fast irrealen, kafkaesken Welt, in die sich der Zuschauer für die Dauer des Theaterbesuchs verliert. Eindeutig in der Aussage, dass Andersartigkeit nicht toleriert, nicht akzeptiert wird. Absolut sehenswert!