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von uns aus: weiter im Düsseldorf, Forum Freies Theater

von uns aus: weiter

Wie bindet man ein Publikum an ein Theater? Wie erinnert man die Zuschauer nach den Ferien daran, dass das Theater bei schönstem Sommerwetter in fensterlosen Kulturbunkern wieder ein reizvolles Programm anbietet? Die Häuser geben sich alle erdenkliche Mühe, veranstalten Theaterfeste oder einen Tag der offenen Tür, und manchmal ist das abwechslungsreich und kreativ, manchmal sehr bemüht. Oft hat man das Gefühl, das die Aktivitäten zwar Publikum anlocken, aber nicht dasjenige, das während der Spielzeit wiederkommt. Das Forum Freies Theater Düsseldorf ist einen anderen Weg gegangen. Es lässt einfach alle, aber auch wirklich alle ihm zur Verfügung stehenden Räume in seinem Haupthaus am Rande der Altstadt bespielen. Dafür hat das dem FFT seit vielen Jahren verbundene Produktions-Team Plöger/Winkler/Becker eine „Soziale Plastik“ erarbeitet. In fast 18monatiger Vorbereitungszeit hat sich das Team in Düsseldorf herumgetrieben und Stimmen zum Spiel eingeholt: zu den Wünschen der Bürger an die Kultur, an die Gestaltung der Stadt, zu ihren kulturellen Sehgewohnheiten und ihrer Neigung zum Einmischen. Gesellschaftlich relevante Themen wollen Bernd Plöger, Erika Winkler und Gila Maria Becker auf die Bühne bringen, aber sie wären nicht Plöger/Winkler/Becker, wenn sie dies nicht mit viel Humor und Kreativität und großem künstlerischem Sachverstand täten. Was nach trockener gesellschaftspolitischer Recherche klingt, wird zu einem unterhaltsamen Abend.

Hoch über Straßen-Niveau residiert das FFT im Düsseldorfer Wilhelm-Marx-Haus. Wer aus dem unter dem Gebäude liegenden Parkhaus ins FFT will, muss viele Treppen steigen. Doch heute geht’s schon im Treppenhaus los: Stumm gruppieren sich dort circa 20 Düsseldorfer Bürger und lesen in der aktuellen Tagespresse. Plötzlich kommt Bewegung in die Gruppe: Alle reden durcheinander, alle scheinen sich über irgendetwas aufzuregen. Wortfetzen nur dringen an unser Ohr. Offenbar echauffieren sich viele über lokalpolitische, soziale oder kulturelle Themen, während andere Belanglosigkeiten in ihre Handys brüllen: „Ich habe jetzt meinen Auftritt, und der Nils ist noch im Parkhaus!“ Düsseldorf, ja, wohl auch Deutschland wie es leibt und lebt: Große Aufregung, viel Gequassel, hektische, aber ziellose Aktivitäten. Bald werden wir erleben, wie Plöger/Winkler/Becker die Unzufriedenheiten (und auch die Zufriedenheiten!) geordnet und die Aktivitäten kanalisiert haben.

Wir folgen einem auf dem Boden markierten Parcours, von dem wir jederzeit abweichen können. In allen Räumen ist was los. Im Foyer werden Möhren geschnibbelt, auf den Tischen haben Düsseldorfer Bürger ihre Wünsche und Gedanken notiert. In der „Peepshow“ sieht man durch Löcher in einer mit Papier verkleideten Glaswand züchtig gekleidete Performer bei vorsichtigen Bewegungsübungen. Wer am Eingang ein rotes Kärtchen in die Hand gedrückt bekommen hat, darf auf die Probebühne zum Empfang durch die Theaterleitung. Beim Sekt erklären FFT-Chefin Kathrin Tiedemann sowie Bernd Plöger und Gila Maria Becker die Ziele des Projekts: den Zusammenhang zwischen Theater und Gesellschaft zu untersuchen und sich stärker in gesellschaftliche Zusammenhänge einzumischen zum Beispiel. Wenn wir schon keine direkte Demokratie hätten, solle zumindest das Theater den Willen des Bürgers auf direkte Art und Weise transportieren. Mit Ideenwerkstätten hat man dies möglich gemacht, an „Stadt-tischen“, die man in Stadtteilen mit so unterschiedlicher Sozialstruktur wie Eller, Gerresheim oder Golzheim aufgestellt hat und die heute in einem der Theaterfoyers gezeigt werden. Der Besucher der Aufführung darf, ja: soll sie mit eigenen Wünschen und Vorstellungen ergänzen. Gefiltert wird nicht, Sammelsurien sind geradezu erwünscht: Am Stadt:tisch aus Oberbilk wünscht man sich bezahlbare Häuser, viele Tore beim Fußball und eine Graffiti-Wand für junge Künstler.       

Im Zuschauerraum des Theaters findet die Bürgershow statt. Die „Visionen“ der Düsseldorfer werden verlesen, und es gibt eine Performance frei nach Georg Büchners Revolutionsaufruf im „Hessischen Landboten“: „Friede den Hütten, Krieg den Palästen!“ Die Bühne wird mit Einkaufstüten gepflastert: Dior, Zara, Calzedonia - entweder muss es teuer sein oder „in“ - so tickt Düsseldorf. Die Klischees werden munter bedient. Hinten zitiert eine Darstellerin Georg Büchner: „Ihr dürft euren Nachbarn verklagen, der euch eine Kartoffel stiehlt; aber klagt einmal über den Diebstahl, der von Staats wegen unter dem Namen von Abgaben und Steuern jeden Tag an eurem Eigentum begangen wird …“ Revolutionäre Vorschläge gab es offenbar auch in den Ideenwerkstätten: das Thyssen-Hochhaus bis unters Dach mit Flüchtlingen zu füllen, die Bürohochhäuser zu sprengen, um Raum zu schaffen für kulturelle Projekte aller Art. Die Idee, ein Unternehmen für Sprengtechnik zu befragen, wie man das denn nun anstelle, ist irgendwie originell. Aber wer das Volk befragt, erntet halt auch Populismus und hinter sozialem oder kulturellem Engagement verstecktes reaktionäres Gedankengut.

Mit Heino oder Campino, Mutter Ey oder Lore Lorentz machen wir einen virtuellen Spaziergang durch Düsseldorf und sammeln goldene Einkaufstüten ein. Zu den Pennern und Obdachlosen halten wir Sicherheitsabstand. Vordergründig ist das Spielchen lustig, aber es liegt beißende Ironie und ein gehöriges Stück Sozialkritik darin. Sehr süß ist das kleine Durchgangszimmer, in dem Tonaufnahmen von Kinderwünschen zu hören sind. Eine schrill aufgemachte „Konsumberaterin Mara Zabrowsky“ gibt mehr oder weniger ernst gemeinte Tipps. In den Büros des Theaters gibt es einen “Schützenzug“, den der Unterzeichner verpasst hat, von dem aber Witziges berichtet wurde. In einer Bar werden Getränke und Kleinkunst geboten, und an jedem Aufführungstag diskutieren zwei andere Experten nach dem Zufallsprinzip aus einer riesigen Fishbowl gezogene Bürgerfragen. Heute waren die Fragen intelligenter als die Antworten: Blöd sind die Düsseldorfer nicht. Bei den Bürgerwünschen allerdings hielten sich Banalitäten und originelle, diskussionswürdige Überlegungen die Waage.

Am Ende wird der in der Stadt umstrittene Kö-Bogen gesprengt, ein repräsentatives, hochmodernes architektonisches Ensemble, das einerseits der luxuriösen Konsumwelt der Stadt ein Forum bietet und andererseits den wunderschönen Hofgarten wieder mit der Königsallee und den Einkaufsstraßen verbindet. Mit Konsumtempeln und gelackten Fassaden stehen die professionellen und ehrenamtlichen Ideengeber des Abends offenbar auf Kriegsfuß. Damit negieren sie, dass man der Stadt ihre Identität nähme, wenn man sie zu einem besseren Bochum, Herne oder auch nur Köln machte. Aber ein bisschen Anarchie gehört halt dazu an diesem Abend. Grundsätzlich durchzieht viel Humor die Spiele und Präsentationen, viel Menschenfreundlichkeit, für die gerade auch Bernd Plöger und Gila Maria Becker stehen, die ihre Besucher immer wieder ansprechen. Selten sind zwei Stunden im Theater so schnell vergangen: Kaum haben wir das Gefühl, dass uns auf unseren wiederholten Rundgängen durch die Räumlichkeiten des FFT nichts Neues mehr begegnen wird, ist auch schon die Suppe fertig: Zum Abschluss gibt es ein gemeinsames Abendessen mit den Performern und dem Leitungs-Team, und endlich wissen wir auch, warum am Anfang so viel Möhren geschält wurden. Großes Kompliment ans FFT: Das war eine tolle, witzige und doch auch politische Alternative zu all den manchmal verkrampften Saisoneröffnungs-Festivitäten, die wir an anderen Häusern erleben, und das immer noch weithin unterschätzte Produktions-Team Plöger/Winkler/Becker hat erneut seine hohe Kreativität unter Beweis gestellt.