„Wer bin ich? Wo komme ich her?“
Die gerade in Zeiten der modernen Gentechnik immer wieder diskutierte Frage „Kann ein Mensch kreative Schöpferqualitäten haben, also wie Gott sein?“ stand bereits im Zentrum von Mary Shelleys berühmten Erstlingswerk Frankenstein (1818). Die Gruselgeschichte wurde unzählige Male verfilmt.
Der ehrgeizige Forscher Frankenstein ist besessen von der Idee, Herr über Leben und Tod zu sein, indem er einen Menschen erschafft. Doch als die aus Leichenteilen zusammengesetzte Kreatur endlich zum Leben erwacht, jagt sie ihrem Schöpfer Todesangst ein. Er flieht und überlässt sie sich selbst. Ein alter, blinder Mann lehrt dieses Wesen sprechen, lesen, denken. Doch immer wieder trifft es auf massivste Ablehnung durch eine Umwelt, die Andersartige nicht toleriert. Ursprünglich gutartig, wandelt sich das Geschöpf zu einem bösartigen, rachesüchtigen Monster, das die erfahrenen Brutalitäten gnadenlos zurückgibt.
Nick Dears Bühnenfassung, die 2011 ihre Uraufführung in London am National Theatre erlebte, erzählt die Geschichte aus der Perspektive des unter seiner Einsamkeit leidenden Geschöpfes.
Gustav Rueb, unter anderem Assistent bei Klaus-Michael Gruber und Jürgen Gosch sowie am Düsseldorfer Schauspielhaus, inszenierte die deutschsprachige Erstaufführung von Nick Dears Bühnenfassung des Stoffes.
Frankensteins Laboratorium ist ein dunkler, düsterer Raum. Im Hintergrund liegen Leichen in zwölf großen Kästen – Material für die unheimlichen Experimente des Forschers. Nebel wabern, die Atmosphäre mutet gespenstisch an. Die Bühne dreht sich (das wird sie noch einige Male im Laufe des Abends tun) und aus einem Fach fällt seine Schöpfung: wahrhaft ein Monster mit fratzenartigem Gesicht. Axel Holst spielt diese Figur äußerst beeindruckend. Glaubhaft die Metamorphose vom unbeholfenen, naiven Wesen, das einen Schmetterling staunend betrachtet und ihn dann vorsichtig isst, zu einem durch unzählige Verletzungen und hasserfüllte Attacken seiner Umwelt nur noch auf Rache sinnenden Wesen: „Mein Herz ist schwarz, es stinkt“. Überzeugend auch seine schnelle Auffassungsgabe, die ihn vom stammelnden, unsicheren Wesen zu einem eloquenten, gebildeten Mann werden lässt, der aus dem „ Verlorenen Paradies“ zitiert und ein Teil der Gesellschaft werden will. Bewegend seine verzweifelte Suche nach Liebe. Thomas Meczele überzeugt nicht so ganz als ehrgeiziger, größenwahnsinniger Forscher („Ich atme den Hauch Gottes“).
Die Inszenierung hat durchaus dichte Momente, in erster Linie dank Axel Holst. Wird aber zerfasert durch manche Regieeinfälle, die den Abend in die Länge ziehen. Immer wieder zum Beispiel tauchen die Babymonster auf, die in Intermezzi über die Bühne hopsen. Sie erinnern an die Teletubbies aus fernen Fernsehzeiten. Man fragt sich, welchen Zweck sie erfüllen sollen. Effektvoll sicherlich die bunt beleuchtete Schattenspielszene, in der wir Frankenstein die Axt schwingen sehen. Blut spritzt reichlich und am Ende steht ein weibliches Pendant zu seiner ersten Schöpfung auf der Bühne. Dazu ertönt laute Musik.
Ein Abend mit vielen weiteren Regieideen, vielleicht zu vielen. Das Thema „Was ist in der Forschung möglich, was ist ethisch vertretbar?“ ist immer noch aktuell. Wenn Frankenstein sagt: „Die Technologie hat endlich die Augenhöhe der Evolution erreicht“, so dürfte das auch die Meinung mancher Wissenschaftler heute sein. Auch die Frage, was geschieht, wenn etwas Bedrohliches geschaffen wurde, das nicht mehr rückgängig zu machen ist, bleibt aktuell. Denken wir nur an die Kernspaltung.
So geht man mit gemischten Gefühlen aus dem Theater. „Food for thought“, wie der Engländer sagt, bietet der Abend auf jeden Fall reichlich.