Englische Befindlichkeiten
Mit Top Girls (1982) erreichte die englische Dramatikerin Caryl Churchill ihre heutige Popularität. Eines ihrer letzten Stücke heißt A Number und behandelt das Thema Klonen. Eine engagiert krtische Autorin also. Ihren Durchbruch hatte Caryl Churchill 1979 mit Cloud nine, von den Übersetzern Marita und Gerd Heinz korrekt zu Siebter Himmel eingedeutscht. Nach kriegsbedingtem Aufenthalt ihrer Familie in Toronto kehrte Caryl Churchill Ende der fünfziger Jahre in ihre Geburtsstadt London zurück, wo sie an der Oxford University ein Studium in englischer Literatur absolvierte. Heirat, drei Söhne, erste Radioarbeiten für die BBC. Owners von 1972 war ihr erstes Bühnendrama, in welchem ihre sozialistischen Überzeugungen bereits zum Ausdruck kamen. Weitere thematische Akzente sind feministischer Natur. Auffällig auch die Neigung der Autorin zu antirealistischen Schreibtechniken.
Einige Figuren in Siebter Himmel werden beispielsweise von Darstellern des anderen Geschlechts oder der anderen Hautfarbe verkörpert. Betty, die Frau des Kolonialverwalters Clive im Afrika der victorianischen Epoche, ist männlich besetzt, der schwarze Diener Joshua soll – ein weniger schweres Demo-Geschütz – von einem Weißen gespielt werden. Ein gesellschaftspolitisch kritischer Verweis lässt sich hinter dieser Maßnahme heute freilich kaum noch ausmachen. Wichtiger bleiben die verbalen Aussagen, etwa Clives Abwertung weiblicher Identität und seine Glorifizierung von „reinen“ Männerfreundschaften. Wenn die fünfjährige Cathy im zweiten Akt mit eben diesem Rolleninhaber besetzt wird, wirkt das wenig triftig, allenfalls wie ein simples Travestievergnügen.
Das desavouiert freilich nicht in Gänze das tiefere Anliegen der Autorin. Caryl Churchill will scheinbare Friedfertigkeit entlarven, wie sie beispielsweise bei den auf Haltung und Etikette schwörenden Engländern, zumal in historischen Epochen, das Nonplusultra darstellt. Aber hinter solchen Hochglanzbildern lauern Untiefen, ja Abgründe. Clive (schön hochtrabend Ansgar Auren) geht der Witwe Saunders ungeniert unter den Rock und an den Busen, und die treibt (in Gestalt der herrlich wilden Milena Weber) dieses Sexspiel auch noch wollüstig an. Betty wiederum (Daniel Müller mit köstlichem Schlafzimmerblick und laszivem Gehabe) zeigt Interesse an Familienfreund Jim (den etwas verwirrten Charakter gibt Sebastian Leonhard Klaas), der aber lieber Joshua zwischen die Beine greift und sich auch gerne mal mit dem frühreifen Familiensprössling Edward (Jana Bange) vergnügt, der in seiner weibischen Vergnügtheit noch immer gerne mit Puppen spielt.
Homosexualität ist ein Schwerpunktthema auch des zweiten Aktes, der im folgenden Jahrhundert spielt, obwohl die handelnden Personen nicht mehr als 25 Jahre gealtert sein wollen. Auch so eine verpuffende AutorenIdee, welche dem Zuschauer allerdings Vergnügen bereitet. Und dass dieser nicht zu kurz kommt, dafür sorgt auch die wirbelnde, dabei prägnante Inszenierung von Christos Nicopoulos. Dennoch wäre es nicht falsch gewesen, den nahezu dreistündigen Abend einzukürzen.
Im zweiten Akt gibt es in dem Geflecht absurder Beziehungen immerhin ein paar Trauerränder, welche die Regie klar herausarbeitet. Betty (jetzt von Anne Schröder mit exaltierter Dauerquasselei gespielt) trennt sich von Gatten Clive (nicht mehr auftretend), kommt aber mit dem Alleinsein nicht zurecht und macht sich an Gerry heran (attraktive Erscheinung: Manuel Bashirpour). Aber der ist nicht nur schwul, sondern auch (neue Rolle für den sich sanft gebenden Daniel Müller) der Lover von Sohn Edward ist, welcher inzwischen von Puppen auf puppenhafte Schönlinge umgesattelt hat. Mit echten Gefühlen freilich, die Freigeist Gerry niederzumachen beliebt. Später übermannt aber auch ihn die Sehnsucht nach menschlicher Wärme .Es bleibt also Nachdenklichkeit zurück.
Trotz seiner Überlänge hatte der pralle Theaterabend mächtig Erfolg beim (merklich vergnügungsbereiten) Premierenpublikum. Hinweis von Christos Nicopoulos auf dem Programmzettel: „Ich widme diese Inszenierung meinem ehemaligen Regielehrer Max Stafford-Clark, der dieses Stück uraufgeführt hat.“