Rabenschwarzes Lustspiel
Gott des Gemetzels – dieser Titel hat derzeit eine neue, deprimierende Bedeutung erhalten. In Yasmina Rezas Erfolgsstück von 2006 gibt es lediglich eine punktuelle Anspielung darauf, was da draußen in der Welt so alles an Inhumanem an der Tagesordnung ist. Aber auch in der Wohnung des Ehepaars Véronique und Michel Houillé spielen sich (verbale) Kämpfe ab, und zwar nicht zu knapp. Es beginnt friedlich bzw. nüchtern höflich, was das anfängliche Standbild in Joe Knipps Inszenierung sinnfällig zum Ausdruck bringt. Die Houillés haben sich mit den Nachbarn Annette und Alain Reille getroffen, um einen heiklen Vorfall zu besprechen. Deren Sohn Ferdinand hat nämlich seinen Schulkameraden Bruno (Houillé) angegriffen und ihm dabei zwei Schneidezähne demoliert. Ein bei aller Brutalität aber vielleicht doch entschuldbarer Jungenstreich, oder doch mehr?
Die Houillés (vor allem Madame) diskutieren zunächst etwas verschnupft und auch von oben herab. Aber dann wird ruchbar, dass Monsieur den geliebten Hamster seiner Tochter „entsorgt“, d.h. ausgesetzt und ohne Hilfe gelassen hat, weil er Bodentiere einfach nicht erträgt. Nun nimmt die Anklage eine andere Richtung, es fällt sogar das Wort „Mörder“. Zu dieser Eskalation trägt bei, dass Alain mit seinen ständigen Handy-Gesprächen nervt. Bei diesen wird im Übrigen deutlich, dass seine juristische Beratung eines Pharmakonzerns nicht ganz sauber ist. Und ausgerechnet von dieser Firma bekommt Mama Houillé ihre Pillen.
Aber nicht nur an Fakten schaukelt sich das Gespräch giftig hoch, auch die Charaktereigenschaften der Diskutanten kommen auf den Prüfstand, was das eigentliche Thema des Zusammentreffens immer wieder in den Hintergrund drängt. Zunehmender Alkoholkonsum facht das Feuer bei dieser Zimmerschlacht ebenfalls an. Annette wird irgendwann übel und kotzt ein wertvolles Kunstbuch Véroniques voll. Später wird die das Handy ihres Gatten wütend in der Blumenvase ersäufen, womit der Siedepunkt des Streits erreicht ist. Véronique, die so ostentativ auf ein zivilisiertes Miteinander pocht (dabei aber selber immer wieder ausflippt), kapituliert am nachhaltigsten. Recht scheint Alain zu behalten, der das Erdenleben von einem „Gott des Gemetzels“ gelenkt sieht.
Yasmin Rezas rabenschwarzes Drama ist (wie beispielsweise auch Kunst) zu einem Renner geworden. Wie auch nicht? Die Autorin bietet gepfefferte Dialoge, wahrt dabei aber die Balance zwischen komödiantischer Messerschärfe und tragischem Grundton. Edward Albees Wer hat Angst vor Virginia Woolf, thematisch verwandt, bietet freilich noch mehr Düsternis. Der andere Erfolgsgrund von Gott des Gemetzels rührt von den virtuosen Schauspieleraufgaben her, die Joe Knipp im „Sachsenring“ lustvoll ausreizt. Der Regisseur sorgt dabei dankenswerterweise für genügend Zwischentöne bei den Darstellern, denen ihre Aufgaben merklich Vergnügen bereitet. Die Damen (Bettina Scholmann als Annette und – besonders – Doris Lehner als Véronique) agieren noch um einige Grade nuancenreicher als die Herren (Julian Baboi als Alain und Richard Hucke als Michel).
Auf der kleinen Sachsenring-Bühne hat sich die Ausstattung stets knapp zu halten. Hannelore Honnen bietet Sitzgelegenheiten, einen malerischen Bücherstapel und einen großen Blumenstrauß, dessen Zerstörung durch Annette echt weh tut.