Übrigens …

Wir lieben und wissen nichts im Köln, Theater Der Keller

Weltkrieg im Bewusstseinszimmer

Unsere Welt ist sehr viel mobiler und kommunikativer geworden. Da verwundert es nicht, dass zwei Paare, moderne Jobnomaden, die sich gar nicht kennen, über das Internet einen temporären Wohnungstausch vereinbaren. Fotos und Grundrisse werden hin- und her gemailt, ein gemeinsam genutzter Transporter angemietet für die persönlichen Sachen. Der Plot beginnt in einer ungenannten deutschen Stadt, wo Sebastian (Sascha Tschorn) und seine Lebensgefährtin Hannah (Barbara Fernández) auf dem Sprung sind, nach Zürich zu ziehen. Dort soll Hannah, eine Psychotherapeutin, gestressten Schweizer Bankern mit der richtigen Atmentechnik den Zugang zu deren verschütteten und hoch belasteten Seele wieder freilegen, und zwar bereits am nächsten Vormittag.

Auf der kargen Bühne nur mit einem Stuhl und Zentrifugalentsafter (Bühne und Kostüme: Petra Maria Wirth) kauert Sebastian in legeren Alltagsklamotten vor einem Haufen Bücher in seinem „Bewusstseinszimmer“; er wirft Hannah vor, aus den Kapitalisten Zen-orientierte Samurai-Kämpfer zu formen. Und kann sich nicht entscheiden, welche von seinen vielen Büchern er mitnimmt und will eigentlich gar nicht weg. Will eigentlich gar nichts. Ein unproduktiver Schriftsteller, der sich hängen lässt, der über Sexualität im Internet schwadroniert, aber seine Frau, ein herber Karrieretyp, die unbedingt ein Kind will und auf ihrem Handy eine Fruchtbarkeits-App installiert hat, seit langem nicht angefasst hat. Und bekommt von ihr zu hören, dass er – im wahren Sinne des Wortes - ein Schlappschwanz sei und nicht mehr schafft als Vorworte zu schreiben, die für nicht mehr reichen als einen Blumenstrauß.

Mitten in die Auseinandersetzung platzen die Tauschpartner Roman (Matthias Lühn) und Magdalena (Mirjam Heimann) in die Wohnung, die erst mal rumstehen wie bestellt und nicht abgeholt; hier treffen ganz unterschiedliche Welten aufeinander. Eine Tier-Therapeutin, die zwar mit ihren Patienten, aber nicht mit Menschen reden kann. Sie schreibt über die kulturhistorische Rolle der Katze und wird von ihrem Mann laufend erniedrigt, süffelt hingebungsvoll den Champagner-Vorrat weg und baggert Sebastian eindeutig an. Ihr Mann, ein Technokrat und IT-Fanatiker mit perfidem Sendungsbewusstsein, will die ganze Welt vernetzen, da nur die Hälfte aller Menschen einen Telefonanschluss besitzen. Er ignoriert seinen Jobverlust bei einem Raketenprojekt, wo ein Kommunikations-Satellit ins All geschossen werden soll und versäumt dessen Start im Internet, nur weil Sebastian das Passwort für den WLAN-Router verbummelt hat. Eine Katastrophe für ihn. Die Beziehungsprobleme zwischen den Paaren werden immer deutlicher und lauter, es fällt gar ein Schuss aus einer alten Pistole; automatisch denkt man an Yasmina Rezas Gott des Gemetzels.

In geistreichen geschliffenen Dialogen und wechselnden Allianzen fechten vier höchst problematische Individuen um ihre Lebensphilosophien und deren Scheitern, öffnen ihre Seelen, ohne aber zu einem Konsens zu gelangen. Denn ohne Liebe geht nichts. Moritz Rinke, Jahrgang 1967, einer der wichtigsten deutschen Dramatiker, hat das Stück keiner Gattung zugeordnet. Und Regisseur Heinz Simon Keller hat die Figuren treffend überspitzt gezeichnet, quasi eine Momentaufnahme gleichermaßen aus Komödie und Tragödie, eine Mischung aus verkorkster Weltanschauung und Scheitern des eigenen Ichs. Weil nämlich alle irgendwie ständig aneinander vorbei reden; da hilft auch kein Seelen-Striptease. Und weil die zentrale Frage „Kann man zusammenbleiben, wenn man sich nicht die Wahrheit sagt ?“ letztlich nicht beantwortet wird, entrinnt dem hoffnungslosen Sebastian in der Schlussszene nur ein verzweifeltes „Hannah“.

Das Schauspielerteam mit Sascha Tschorn, Barbara Fernández, Matthias Lühn und Mirjam Heimann agierte sprachlich brillant und in der Aktion auf hohem Niveau, äußerst erfrischend und typgerecht, mit großer Spielfreude und Hingabe. Langer begeisterter Applaus im ausverkauften Haus.